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Nein, der Wert von Kultur zeigt sich nicht erst bei einer Auktion.
Foto: pressmaster/Adobe Stock

Was hat Kultur denn gebracht?

25. September 2025

Eine Erinnerung an Nebensächliches – Glosse

Ist das Kunst oder kann das weg? In Zeiten klammer Kassen ließe sich dieser alte Werbeslogan umformulieren: Das ist Kunst und Kultur, das kann eingespart werden. Kommunen kommen kaum hinterher, ihre Finanzlöcher zu stopfen und was ist bitte wichtiger: Das städtische Theater oder das städtische Abwassersystem. Soziokulturelle Zentren oder ein gut besetztes Bürgerbüro. Museen und Bibliotheken oder schlaglochfreie Straßen. Und überhaupt: Gibt’s ja eh alles online.

Sozialstaat, Kulturstaat? Kann weg!

Abwassersysteme und dergleichen, sie scheinen funktional von Bedeutung zu sein für eine Gesellschaft, denn wie könnten wir ohne funktionieren. Kultur ist scheinbar funktionslos, die Unsummen an Subventionen ließen sich besser nutzen. So ideologisch das Ganze und verkopft – wer bitte versteht heute noch ein Theaterstück, wenn er oder sie danach nicht mindestens fünf Rezensionen liest? Was ist der Mehrwert? Wenn der deutsche Bundeskanzler schon den Sozialstaat für nicht mehr finanzierbar hält, wie überflüssig ist dann der Kulturstaat? Was hat sie uns schon gebracht, die Kultur? Demokratie, Menschenrechte, die Reflektion unserer eigenen Vorurteile – anstrengend sowas, stört beim Durchregieren, ist kein Black-Rock-Vermögenswert – naja, letzteres stimmt nicht ganz, man muss nur einmal eine Versteigerung bei Sotheby’s anschauen.

Zeit des Nichtdenkens“

Doch genau da muss ja auch gar nicht gespart werden, Reiche gibt es genug – immer mehr tatsächlich. Finanzstarke Kommunen hingegen nicht – immer weniger sogar. Eine Schelmin, die da einen Zusammenhang vermuten würde. Dafür müsste man jedoch nachdenken, um Zusammenhänge überhaupt erkennen zu können, quasi Kultur anzuwenden. Denn das kann sie lehren, dieses ominöse Denken. „Wir erleben eine Zeit des Nichtdenkens“, hat die französische Philosophin Cynthia Fleury gerade erst in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung festgestellt. Vielleicht müsste man noch krasser sagen: Wir erleben eine intellektuell verarmte Öffentlichkeit. Der Traum jeder Autokratie. Kunst und Kultur, wozu so unfassbar vieles zählt, sind ein möglicher Schutzschild dagegen, wie Bildung.

Wie Kleinkinder

Was selbstverständlich nicht bedeutet, dass das alles super ist, was in der Kulturwelt passiert. Ja, es gibt Theaterstücke, die sind so woke, dass man im besten Fall nur noch einschlafen möchte. Wer sich die Besuchszahlen anschaut, könnte fragen, warum man eine Minderheit derart opulent ausstattet – zumindest teilweise im kommunalen Bereich. Die sogenannte Freie Szene, in der man völlig unfrei von knechtendem Zeitvertrag zu schlecht ausgestattetem Stipendium springt, sie schwelgt gewiss nicht in Opulenz. Die Geldgebenden indes sind im Zweifelsfall jene, gegen die sich die Kritik der Kunst- und Kulturschaffenden richtet – politische Akteur:innen, Mäzen:innen. Dieses Kreuz des performativen Selbstwiderspruchs trägt die Kultur schon lange. In Zeiten der Aristokratie florierte sie, es scheint als konnten die damaligen Mächtigen die Ambivalenz, ihre eigenen Kritiker:innen zu fördern, besser aushalten. Heute kriegt der Führer der vermeintlich freien, demokratischen Welt einen Tobsuchtsanfall, wenn man sagt, er habe kleine Hände. Ein Merkmal der Rechten – und immer mehr auch der Linken – ist es, die Ambiguitätstoleranz eines Vierjährigen zu haben. Ein ungerechter Vergleich. Gegenüber dem Vierjährigen.

Therapie im Auditorium

Bleibt noch das Totschlagargument: Das liebe Geld. Die Schulden. Schwäbische Hausfrauen und preußische Kassenwarte kriegen sofort Puls, wenn man diese Begriffe verwendet. Dabei wissen wir doch: Geld ist fiktiv. Wenn die Politik es beschließt, dann ist es en masse da. Siehe Bankenrettung. Siehe Pandemie. Siehe Sondervermögen für Bundeswehr und Infrastruktur. Warum nicht ein Sondervermögen für Kunst und Kultur? Es gibt kulturelle Schriften, die dem Theater im antiken Athen eine quasi gruppenpsychotherapeutische Funktion zuschreiben. Bräuchte diese Gesellschaft das nicht auch, bei all dem Hass, der Spaltung, der fehlenden Toleranz ganz zu schweigen von Akzeptanz gegenüber dem vermeintlich Anderen? Denn das bietet Kultur: Orte, an denen Menschen zusammenkommen können, sich als eine Gemeinschaft verstehen können. Dass das zu wenig passiert, ist eben kein Argument gegen Kulturausgaben, sondern dafür! Kulturelle Austerität führt in intellektuelle Verarmung. Zu politischen Figuren, ausschließlich getrieben von Machtgeilheit und Eitelkeit. Die können weg. Das allein wäre Kunst.

Paul Tschierske

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