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Die Informationsgesellschaft verstehen
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Journalismus im Teufelskreis

28. August 2025

Teil 3: Leitartikel – Wie die Presse sich selbst auffrisst

Ein Ouroboros ist das Symbol einer Schlange, die sich in den Schwanz beißt. Stellen Sie sich die Szene aus dem ersten „Indiana Jones“-Film vor, in der der Held entsetzt feststellt, dass der Boden der Kammer, die er gerade unter dem Wüstensand entdeckt hat, mit Schlangen bedeckt ist – nur beißen sich nun alle Schlangen selbst in den Schwanz, ineinander verschlungen, zuweilen am Endstück einer Artgenossin zutzelnd. So haben Sie die problematische (finanzielle) Lage weiter Teile der deutschen Medienlandschaft als Sinnbild.

Der eine Ouroboros-Knoten heißt Digitalisierung. Auf einmal war das Internet da und bot Informationen gratis. Wenn das Internet gratis ist, dann bleiben wir gedruckt, dachte sich die Presse lange Zeit – und verpasste den Anschluss. „Na gut, gehen wir eben doch online“, dachte sie sich später, „aber die Leutesollen trotzdem zahlen“. So biss sich die erste Schlange in den Schwanz, denn die Bezahlschranke ist nach wie vor ein Fremdkörper in diesem freien Internet: Laut der Medienagentur Montana zählt Deutschlands Markt für Zeitschriften, Tageszeitungen, Fachzeitschriften und Wochenzeitungen insgesamt rund 39 Mio. Print-Abonnements – gegenüber lediglich etwas mehr als 2 Mio. für „Paid Content“.

Fremdkörper Bezahlschranke

„Nun gut, dann machen wir eseben nach den Regeln des Internets“, sagte die zweite Schlange. Zu spät bemerkte sie, das ihr Schwanz aussah wie: „Der Journalismus muss … mit tendenziell weniger Ressourcen auf immer mehr Kanälen präsent sein“ (Center for Corporate Reporting). Denn jegliches Konkurrenzblatt ist nur einen Klick weit entfernt. Dies führt unter Umständen zur sogenannten Nachrichtenüberlastung bei den Nutzern. Die Folge ist: Die Nutzer wenden sich vom Nachrichtenangebot ab, denn Ablenkung und Unterhaltungsind ebenfalls stets verfügbar, auch auf den gleichen Kanälen.

Spielen die Medien das Spiel des Qualitäts-Ouroboros mit: Info-Häppchen und Edutainment sollen sich in den Feed der dauerscrollenden Nutzer reinmogeln. Sogar die Tagesschau bietet eine 100-Sekunden-Fassung ihrer selbst an. Aber ist denn das der richtige Weg? Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) beschwört in seinen Stellungnahmen immer wieder die Rolle der Presse als „vierte Säule“ der Demokratie. Ruht die Demokratie nun auf Schlagzeilen wie „Deutsche Bahn doing Deutsche Bahn things“ (Der Spiegel auf Instagram) und sieben Slides mit jeweils nicht mehr als fünf Sätzen?

Mehrwertsteuer, Zustellförderung?

Nein, wer Förderung vom Staat (den Politik-Ouroboros) will, sollte das schon mit Investigation begründen, mit einer Art Bildungsauftrag und Objektivität – kurz: Qualitätsjournalismus. Ob es an einem Mangel dessen lag, dass die Regierung Scholz 2024 die Zustellförderung für Tageszeitungen abschlägig beschied? Darüber lässt sich nur spekulieren. Und die jetzige Regierung? Ursprünglich sollten laut Koalitionsvertrag Presseerzeugnisse komplett von der Mehrwertsteuer befreit werden. Werden sie nun doch nicht. Kein Wunder bei Friedrich Merz, der 2020 – noch nicht Bundeskanzler – öffentlich gesagt hat, dass Politiker nun eigene Kanäle hätten, um an die Öffentlichkeit zu treten, da bräuchten sie die Journalisten nicht mehr.

Trotzdem oder gerade deswegen haben sich der Verlegerverband BDZV und Gewerkschaften im Juli auf einen neuen Tarifvertrag für Journalisten im Tagesjournalismus geeinigt; für „starke, engagierte Redaktionen“. Ob man mit besseren (oder doch gleichbleibend guten), aber noch teureren Zeitungen mehr Leser gewinnt? Vielleicht weiß es eine der Schlangen, doch wir verstehen sie nicht. Denn sie hat ihr Maul voll.

Marek Firlej

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