Karin Kneffel, die in München als Professorin lehrt, gehört mit ihrer Virtuosität und Erzählfreude zu den wichtigsten deutschen Maler:innen unserer Zeit – einen Überblick zeigt nun das Max Ernst Museum in Brühl.
Schon das: Es gibt niemanden, der so innig und plastisch Wassertropfen und deren Lichtbrechung malt. Mitunter erinnern sie an Blasen im Bernstein und Honig. Sie liegen auf der Fensterscheibe und initiieren ein Schatten werfendes Flackern, das Lynchs Film „Lost Highway“ alle Ehre machen würde, und dann fällt ein, dass David Lynch ebenfalls hier ausgestellt hat und eine ähnlich auratische Aufladung Teil seiner Kunst ist. Karin Kneffel aber bringt die Malerei mit dem glatten Hyperrealismus und den Effekten des Filmischen, Fotografischen in Einklang. Dazu trägt in den Interieurs die Abbildung von Kunstwerken bevorzugt der Moderne und des Expressionismus bei, welche durch die Fensterscheiben entzogen sind. So wie Kneffel in den 2000er Jahren eine Impression des einstigen Gutbürgerlichen mit seinen fragwürdigen Überbleibseln im Fernsehschirm oder dem Eisbärenfell auf dem Parkett vermittelte, so verweisen diese aktuellen Gemälde auf exquisite Kunstsammlungen, die Identität und Fremdheit, Eigenes und Vereinnahmung ansprechen. Karin Kneffel zitiert mit Bedacht, das betrifft auch Gerhard Richters Werk. Der Hintergrund einer Kerze spiegelt nun die Rückseite der Flamme. Und die grauen Verwischungen des Realismus versieht sie wie auf einem Kontaktbogen mit einer Markierung, die erneut die händische Präsenz gegenüber dem medial Vermittelten und die Abstraktion gegenüber dem Gegenständlichen auslotet. Und dass Handlungen und Blickachsen sich überlagern, die Perspektive verschachtelt und der Boden wie poliert glänzt, macht das Sehen und sich Zurechtfinden noch anregender: Körperliche Erfahrung wird als instabil, von Erinnerung und Träumen, von sozialer Kommunikation und kulturellem Gedächtnis durchsetzt geschildert. Karin Kneffel gelingt eine frenetische Annäherung an das Leben mit seinen Höhen und Tiefen und seinen rauschenden Festen des Sehens: und das rein mit Malerei.
Karin Kneffel – Im Augenblick | bis 28.8. | Max Ernst Museum Brühl des LVR | 02234 992 15 55
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