Wenn Hochkultur Popkultur einlädt, stellt sich mit einem gewissen Automatismus ein Rechtfertigungszwang ein. Beim Thema Comic war das aufs wunderbarste auf einer Podiumsdiskussion zur großen Robert-Crumb-Ausstellung im Jahr 2004 im Museum Ludwig zu beobachten. Eine gönnerhafte Haltung der Gastgeber und Vergleiche mit Pieter Breughel und August Sander mussten herhalten, um Crumb museumsreif zu machen. 15 Jahre später ist die Diskussion dank „Graphic Novel“-Boom in den Feuilletons weiter. Auch im Text zur Mœbius-Ausstellung im Max Ernst Museum Brühl des LVR ist der Begriff Comic kein Unwort, obgleich Synonyme wie Bildgeschichten bemüht werden oder von Bildproduktion die Rede ist. Das ist an dieser Stelle aber sinnvoll, konzentriert sich die Ausstellung doch tatsächlich auf die weniger narrativen Einzelbilder, von denen es in Moebius‘ Werk eine Vielzahl gibt. Und natürlich wird eine Ausstellung im Max Ernst Museum immer im Kontext mit dem Namensgeber gesetzt.
Unter seinem Pseudonym Gir ist der Franzose Jean Giraud (1938-2012) nicht so bekannt wie als Mœbius. Gir steht vor allem für die Westernserie „Leutnant Blueberry“, die Giraud fast vierzig Jahre lang begleitete und mit der er das enge Korsett der Comicalben erzählerisch und zeichnerisch sprengte. Legendenstatus brachte ihm auch über die Comicszene hinaus aber vor allem seine Arbeit als Mœbius.
Wer seine Meisterwerke „Arzach“, „Die hermetische Garage“, „Die Sternenwanderer“ und natürlich „John Difool“ (gemeinsam mit dem Autor und Filmemacher Alejandro Jodorowsky) liest, die ab den frühen 70er Jahren unter dem Einfluss der Psychedelik entstanden und allesamt mehr oder weniger surreale Science Fiction sind (er entwarf auch Designs für „Alien“, „Tron“, „Abyss“ und „Das fünfte Element“), findet sich in einem großflächigen Farbspektakel voller wilder Kreaturen wieder. Die surrealen Geschichten entstanden unzensiert als Écriture Automatique, und auch der freie, aber sehr präzise Zeichenstil stellt eine direkte Verbindung zu einem Surrealisten wie Max Ernst her. Diese in Deutschland bislang umfangreichste Ausstellung zu Mœbius gehört genau hier hin.
Mœbius | 19.9. - 16.2 | Max Ernst Museum Brühl des LVR | 022 325 79 30
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Für Kinder und Junggebliebene
Gratis Kids Comic Tag 2024
Zauber der Großstadt
Nevin Aladağ im Max Ernst Museum Brühl des LVR – kunst & gut 04/24
Female (Comic-)Future
Comics mit widerspenstigen Frauenfiguren – ComicKultur 04/24
Im Dialog mit dem Publikum
Nevin Aladağ in Brühl
Spurensuche
Comics zwischen Wirklichkeit, Fantasie und Spektakel – ComicKultur 03/24
Held:innen ohne Superkraft
Comics gegen Diktatur und Ungerechtigkeit – ComicKultur 01/24
Ernste Töne
Neue Comics von Sfar, Yelin und Paillard – ComicKultur 12/23
Ausstellung in Buchformat
Wenn jedes einzelne Panel im Comic einem Kunstwerk gleicht – ComicKultur 11/23
Klaustrophobische Comics
Eingerahmter Existentialismus zwischen Leben und Tod – ComicKultur 09/23
Zwiespältige Helden
Geschichten aus anderen Zeiten – ComicKultur 08/23
Große Werke bei kleinen Verlagen
Comics sind nach wie vor ein Risikogeschäft – ComicKultur 07/23
Rotes Blut, roter Staub
Graphic Novels mit cineastischen Bezügen – ComicKultur 06/23
Berührungsängste verboten
„Memory is not only past“ in der ADKDW – Kunst 04/24
Das Verbot, sich zu regen
„Es ist untersagt ...“ von Frank Überall im Gulliver – Kunstwandel 04/24
Makroproteste in der Mikrowelt
Agii Gosse in der Galerie Landmann-31 – Kunstwandel 03/24
Ein König schenkt
Schenkungen von Kasper König an das Museum Ludwig – kunst & gut 03/24
Aufscheinende Traditionen
Helena Parada Kim im Museum für Ostasiatische Kunst – kunst & gut 02/24
Expansion in die Löwengasse
Kunstraum Grevy eröffnet Pop-Up-Store „Grevy Satellite“ – Kunst 02/24
Faszination für krumme Linien
Julja Schneider im Maternushaus – Kunstwandel 02/24
Ohne Filter
„Draussensicht“ in der Oase – Kunstwandel 01/24
Malen mit der Farbe
Rolf Rose im Kunstmuseum Villa Zanders in Bergisch Gladbach – kunst & gut 01/24
Augenöffner im Autohaus
„The Mystery of Banksy“ in Köln – Kunstwandel 12/23
Gespür für Orte
Füsun Onur mit einer Retrospektive im Museum Ludwig – kunst & gut 12/23
Ereignisreiche Orte
Simone Nieweg in der Photographischen Sammlung der SK Stiftung im Mediapark – kunst & gut 11/23