Eine Ausstellung mit einem Giganten der Skulptur wie dem Schweizer Alberto Giacometti ist immer ein Ereignis – und sie könnte in der Auswahl der Werke und der Präsentation krachend scheitern. Das Max Ernst Museum hingegen hat trotz seiner beengten Räumlichkeiten und schwierigen Lichtverhältnisse alles richtig gemacht und die Skulpturen, darunter Hauptwerke aus der Fondation Giacometti, souverän auf Blickachsen, Allansichtigkeit und Kabinette hin arrangiert. Ohne jede Aufdringlichkeit wird die Freundschaft und zeitweilige künstlerische Verwandtschaft zu Max Ernst herausgearbeitet, den Giacometti Ende der 1920er Jahre kennengelernt hat. Der „Hausherr“ des Brühler Museums ist folglich mit Malerei und Skulptur einbezogen.
Die Ausstellung ist chronologisch angelegt und positioniert Giacometti vor Giacometti. Sie beginnt mit seinen frühen verknappten Häuptern und Figuren, die er aus schmalen Scheiben modelliert und geschnitten hat, und widmet sich sodann in der Hauptsache seiner surrealen Phase. Giacometti (1901-1966), der ab 1922 zunächst zum Studium und dann als Lebensmittelpunkt mit Unterbrechungen in Paris gelebt hat, war von 1930 bis 1935 Mitglied der dortigen Surrealisten-Gruppe und hat in diesen Jahren rätselhaft verschlüsselte, figurative Werke geschaffen. Sie tangieren Traum und Spiel, führen Sexualität und Tod zusammen, sind symbolisch aufgeladen und vom Zufall beseelt. Mitunter hat Giacometti seine Figuren und Figurenfragmente in einen Käfig eingefügt, lässt sie dort an einem Seil hängen oder sich an den Stäben halten und verleiht ihnen so eine eigene Bühne. Davon sind in Brühl, teils als Rekonstruktion, Ikonen wie die „Schwebende Kugel“ und der „Schweigevogel“ zu sehen, ebenso wie spätere, mit einem Käfig räumlich „geerdete“ Skulpturen.
Dazwischen, zentral im Ausstellungsraum, wird ein gemeinsames Kapitel mit Max Ernst in Maloja in Graubünden beleuchtet. Beide Künstler (und der Bruder Diego Giacometti) halten sich hier im Sommer 1935 auf. Sie entdecken den Granit als Material, das sie zur Hütte schleppen und Seite an Seite bearbeiten, natürlich mit unterschiedlichen Ergebnissen. Zugleich stellt diese Werkphase eine Zäsur dar. Denn schon wenige Jahre später entwickelt Giacometti die Figuren, mit denen er heute vor allem berühmt ist. Er schafft langgestreckte, flache, an der Oberfläche minutiös modellierte Gestalten, bei denen in präziser Proportion alles in der Andeutung verbleibt. Während die Frauen eine regungslose Statuarik kennzeichnet, verfügen die Männer über eine ausgreifende Schreitbewegung. Der Existenzialismus der Pariser Nachkriegsjahre wird in diesen Schattenwesen und ihrer brodelnden Unruhe deutlich, und schon für dieses „Nebenthema“ der Ausstellung lohnt sich der Besuch. Ohnehin greift Giacometti auch jetzt auf Methoden, Motive und Themen seiner früheren surrealistischen Phase zurück. In Brühl sind übrigens noch wunderbare Porträtzeichnungen ausgestellt, hingegen wird die Malerei nur knapp berücksichtigt. Aber das wäre ein anderes Thema. Was zu sehen ist, ist – zumal in Verbindung mit der benachbarten Sammlung zu Max Ernst – ohnehin überwältigend.
Alberto Giacometti – Surrealistische Entdeckungen | bis 15.1. | Max Ernst Museum Brühl des LVR | 02232 579 30
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