Es ist kaum auszumachen, wo dieser Demonstrationszug beginnt und wo er endet. Eigentlich soll ein Wagen des Festkomitees den Zug anführen: Eine tote Friedenstaube, aufgespießt von einer russischen Fahne. Aber immer wieder muss er anhalten, weil die Straßen noch viele hundert Meter weiter mit Menschen gefüllt sind. So viele sind gekommen – Polizei und Veranstalter sprechen von 250.000 Menschen –, dass die letzten erst mit drei Stunden Verspätung überhaupt loslaufen können. Viele sind bunt kostümiert, doch zwei Farben leuchten einem von überall entgegen: Blau und Gelb, die Farben der Ukraine.
Forderung nach einem Ende des Krieges
Bemalte Gesichter, Kleidung, Fahnen und hunderttausende Schilder demonstrieren auf diese Weise Solidarität mit der Ukraine. Die Botschaften auf den Schildern sind bunt gemischt. So gibt es auch einige, die auf den Rassismus bei der Aufnahme von Flüchtlingen an der Grenze aufmerksam machen wollen oder gegen Waffenlieferungen jeder Art protestieren. Aber die allermeisten fordern einfach nur ein Ende des Krieges, teilweise auch mit passenden Sprüchen zum Rosenmontag. „Jeck noh Friede“, heißt es zum Beispiel, oder: „Make FasteLOVEnd, not war!“ Dazwischen werden zahlreiche Fahnen in weiß geschwenkt – der Farbe des Friedens.
Dabei besteht kein Zweifel, an wen die Botschaft gerichtet ist – Gesicht und Name des russischen Präsidenten Wladimir Putin sind überall zu sehen. Die wenigen Schilder, die sich an das gesamte russische Volk richten, sind diejenigen, die zum Widerstand gegen seinen Präsidenten aufrufen. Schon die neunjährige Frieda hat ein Schild gemalt, das sie gemeinsam mit ihren Freundinnen hochhält. „Kein Krieg“, steht darauf. „Wir sind hier, weil wir das doof finden, was in der Ukraine gerade passiert“, sagt Frieda. Sie sind bei weitem nicht die Jüngsten, die an diesem besonderen Rosenmontagszug teilnehmen. Viele Familien haben ihre Kinder mitgebracht. Angefangen von Säuglingen im Kinderwagen bis hin zu Seniorinnen und Senioren mit Rollatoren sind alle Generationen vertreten. Auch die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker und NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst laufen mit – und selbst aus Düsseldorf sind Delegationen gekommen. „Köln und Düsseldorf sind gemeinsam gegen den Krieg“, steht auf dem Banner der Kaiserswerther Karnevalsgesellschaft.
Für eine Demo auffallend still
Viereinhalb Kilometer zieht diese zusammengewürfelte Menschenmenge durch Köln. Vom Chlodwigplatz über Heumarkt und Neumarkt weiter durch die Innenstadt. Karnevalsstimmung kommt trotz der vielen Kostüme jedoch nirgendwo auf. Das findet selbst die 51-jährige Esther B., obwohl sie bunte Kleidung und Perücke trägt und mit ihren Freundinnen um einen Handwagen herumsteht, auf dem auch Alkohol liegt. „Es fühlt sich anders an, und das ist auch richtig so“, sagt sie. „Ich bin froh, dass der offizielle Karneval noch die Kurve gekriegt hat. Sonst wäre ich nicht gekommen.“
Tatsächlich ist der Zug, wenn man nicht gerade in der Nähe von einem der Spielmannszüge läuft, auffallend still. Nicht nur für einen Rosenmontagszug, selbst für eine Demo. Vereinzelt stehen Bands am Wegrand oder Musik tönt aus Boxen, aber über weite Teile des Aufmarsches hört man nichts als halblaute Gespräche. Es werden keine Parolen skandiert und am Ende steht auch keine große Bühne, sondern nur ein Polizeiauto, das das Ende des Aufzugs verkündet und allen für ihre friedliche Teilnahme dankt. Aber wenn es für diesen Rosenmontag eine Hymne gibt, dann wohl das Lied von Brings, dessen Refrain immer wieder zu hören und auf Schildern zu lesen ist: „Wir werden frei sei, wenn wir uns lieben. Es wird vorbei sein, mit all den Kriegen. Wir sind Brüder, wir sind Schwestern, ganz egal wo wir sind. Glaub mir, die Liebe gewinnt.“
CAROLIN SPRICK
Lesen Sie hier, was die Teilnehmer:innen der Friedensdemo denken
Lesen Sie hier die Kolumne von Hartmut Ernst über Putins Einmarsch in die Ukraine
Hier geht's zum Bericht zur Kundgebung „Peace Please“ auf dem Kölner Heumarkt
Hier kann für die Menschen in und aus der Ukraine und unabhängigen
Journalismus gespendet werden:
Blau-Gelbes Kreuz
Deutsch-Ukrainischer Verein e.V.
https://www.bgk-verein.de/
Bündnis Entwicklung Hilft
https://entwicklung-hilft.de/
Partnerschaftsverein Hürth e. V.
Humanitäre Hilfe für die ukrainische Partnerstadt Peremyschljany
https://www.pv-huerth.de/?p=868
Reporter ohne Grenzen
Für Pressefreiheit weltweit
https://www.reporter-ohne-grenzen.de/spenden
ZEITENWENDE
Am 24.02.2022 überfällt Russland die Ukraine
Für welche Rolle entscheidet sich Deutschland auf dem Weg zum Frieden?
Schreiben über Europa, über Krieg und Frieden
und über Demokratie und Versöhnung – Lesen Sie dazu auch:
EUROPA GESTALTEN / Welches Land macht es am Besten?
DEUTSCHLAND OHNE GRÖSSENWAHN / Friedensstifter
WORT ODER WAFFE / Die Wahl zwischen Krieg und Frieden
DEMOKRATIE / Dein Wille geschehe
EUROPA / Friedliche Vielfalt der Kulturen
VERSÖHNUNG / Schuld und Sühne
„Nicht nur zum Feiern zusammenstehen“
Stimmen von der Kölner Friedensdemo – Spezial 03/22
Laschets „Allmachtsfantasie“
Versammlungsgesetz-Vorhaben hat Folgen für den Straßenprotest – Spezial 02/21
Demonstration „Ein Europa für Alle“
So 19.5. ab 11 Uhr
Keinen Zweifel lassen
„Nicht mit uns“ – Muslimischer, multikultureller Friedensmarsch durch Köln – Spezial 06/17
Freie Meinung oder Propaganda
Der umstrittene Kölner AfD-Parteitag am 22. April – Spezial 04/17
Gegen Gewalt an Frauen
„One Billion Rising“ will am 14.2. ein Zeichen gegen die Ausbeutung von Frauen setzen – Spezial 02/17
Konzernmacht durch die Hintertür
40.000 tragen ihren Protest gegen TTIP und CETA auf die Straße – Spezial 09/16
Support durch Bierdeckel
Aktion für Krankenhauspersonal – Spezial 06/22
Testballon 9-Euro-Ticket
Überblick und erste Bilanz – Spezial 06/22
Schluss mit Monopoly
raum13 will urbane Zukunft gestalten – Spezial 05/22
„Es sind alle herzlich willkommen“
Vereinsgründerin Emitis Pohl über das Café Selenskyj – Interview 05/22
Kein Platz für „Herrenmenschen“
Initiative von Bündnis 90/Die Grünen – Spezial 05/22
„Betroffenen einen Raum geben“
Jeanette Berger über die Beratungsstelle Leuchtzeichen – Spezial 05/22
Eine klare Botschaft
Friedenskundgebung „Peace Please“ auf dem Kölner Heumarkt – Spezial 04/22
„Das Fahrrad ist der Schlüssel“
Ute Symanski über Radkomm und den Talk mit Katja Diehl – Interview 03/22
„Der Mensch kann lernen“
Michel Friedman über Streitkultur – Interview 03/22
Komplott-Kompott
Legendenbildung um einen Aggressor – Spezial 03/22
Einigkeit im Dissens
#streitkultur mit Michel Friedman am Urania Theater – Spezial 02/22
„Natur in den urbanen Raum bringen’’
Sascha Rühlinger und Simon Nijmeijer über Tiny Forests – Interview 02/22
„Physische und soziale Barrieren beseitigen”
Un-Label-Gründerin Lisette Reuter im Interview, Teil 2 – Interview 01/22
„Inklusion wirklich umsetzen”
Un-Label-Gründerin Lisette Reuter im Interview, Teil 1 – Interview 01/22
Wenn Zuhause kein sicherer Ort ist
Beratungsstelle agisra in Köln – Spezial 01/22
Aus 15 wurde eins
„Ehrenfelder Kinogeschichte(n)“ in der Epiphaniaskirche – Spezial 01/22
Tiefe Glaubwürdigkeitskrise
Erzbistum Köln im Missbrauchsskandal – Spezial 12/21