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„Fish in Styx“ (Proben)
Foto: Thomas Morsch

„Fragen des Loslassens im Leben und im Tod“

29. Juni 2017

Port in Air beschäftigt sich in „Fish in Styx“ mit dem Orpheus-Mythos – Premiere 07/17

Port in Air ist eine studentische Theatergruppe, die 2003 von Richard Aczel am Englischen Seminar gegründet wurde. Ihre Produktionen bedienen sich der englischen Sprache und sind von hoher Musikalität, Wortwitz und Rhythmus geprägt. Nachdem sie sich vor drei Jahren Richard Wagners Musikdrama „Die Meistersinger“ angenommen haben, stellt ihre neueste Produktion den Orpheus-Mythos in den Mittelpunkt. Ein Gespräch mit Regisseur Richard Aczel.

choices: Herr Aczel, was interessiert Sie am Orpheus-Mythos?
Richard Aczel: Alles fing mit Rilkes Gedichtzyklus „Sonette an Orpheus“ an. Besonders die Zeilen „Sei allem Abschied voran, als sei er hinter dir“ und „Jeder glückliche Raum ist Kind oder Enkel von Trennung“ haben uns beschäftigt: Wir haben über Fragen des Loslassens im Leben und im Tod gesprochen. Wie weit kann man loslassen in einer Beziehung. Nicht in dem Sinn, dass man sich sowieso irgendwann trennen wird, sondern dass man den Abschied von Beginn an als wesentlichen Teil des Zusammenseins begreift. Wir haben die Sonette von Rilke, aber auch Texte von Ovid, Jelinek oder Carol Ann Duffy gelesen, um uns an den Orpheus-Stoff weiter anzunähern.

Das klingt fast schon nach einer akademischen Recherche?
Im Gegenteil. Wir fangen immer sehr konkret an und experimentieren mit Bildern, mit Körper und Rhythmus. Grundlage der Produktion ist, das Gelesene sofort in Improvisationen umzusetzen. Ich bin von Anfang an interessiert daran, eine Theatersprache zu finden, deren Bedeutung aus einer Polyphonie von Bild, Bewegung, Sprache und Rhythmus besteht. Obwohl vieles, was wir machen, eher spielerisch aussieht, ist unser Theater sehr politisch, weil es immer um eine Spannung zwischen dem Anspruch eines handlungsfähigen Subjekts und dem Subjekt als unterworfenem geht.

Orpheus ist eigentlich das Symbol für den Künstler. Wie wichtig ist Ihnen das?

Richard Aczel
Foto: Thomas Morsch
Zur Person
Richard Aczel ist Schriftsteller, Regisseur und Dozent für Englische Literatur an der Universität zu Köln. 2003 gründete er die englischsprachige Theatergruppe „Port in Air“, deren Produktionen mehrmals für den Kölner Theaterpreis nominiert wurden und auch auf internationaler Ebene Auszeichnungen erhielten.


Unser Orpheus ist kein Künstler, er ist eher menschlich-allzumenschlich. Er wird von drei Schauspielern verkörpert. Der eine bastelt ständig an einem Toaster herum, der andere hat eine Teekanne und denkt ans Teetrinken und der dritte spielt Gitarre,  aber nicht im übermenschlichen Sinn. In der Unterwelt überzeugt das Trio eher mit unbeholfener Menschlichkeit. Sie versuchen zwar einmal, Charon mit pseudo-poetischer Rhetorik zu überzeugen, was der aber einfach nur für Kitsch hält. Ihr größter Erfolg in der Unterwelt besteht darin, dass sie den Toten Frühstück mit Toast bereiten. Der schönste Moment bei Ovid für mich ist, wenn Sisyphos aufhört, seinen Stein den Berg raufzurollen und sich hinsetzt. Bei uns setzen sich alle zum Frühstück hin und singen das „Benedictus“ aus Beethovens „Missa Solemnis“.

Was hält Eurydike von diesem Frühstück in der Unterwelt?
Eurydike lebt im Zwiespalt zwischen der Sehnsucht als Frau, von einem Mann auserwählt zu sein, und gleichzeitig auch dem Willen, ihr Schicksal selbst zu bestimmen. Am Anfang ist sie von dem leidenschaftlich an Toastern herumschraubenden Orpheus fasziniert. Denn trotz seiner Leidenschaft nimmt er Notiz von ihr. Das ist etwas klischeebeladen. Nach einer Weile wird es Eurydike aber langweilig mit dem Toasterfrickler und sie sucht nach einem neuen Reiz. Damit kommt die Schlange ins Spiel, die ihr eine andere Art der Auserwähltheit anbietet: den Tod. Eurydike entscheidet sich für die Unterwelt und Hades. Für sie ist es die Wahl, als unsterblich Sterbliche ausgewählt zu sein. Und auch das ist für eine Weile reizvoll für sie.

Worin besteht der Reiz?
Die Unterwelt und Hades sind interessanter als ein Toaster-Freak. Zumindest zeitweise. Nach kurzer Zeit verliert auch diese Location für Eurydike ihren Reiz. Das ist einerseits komisch. Wir lassen die Szene aber auch von zwei Frauen kommentieren, was Wählen für eine Frau heißt und inwieweit die Auserwähltheit durch Männer immer eine Falle ist. Die andere Seite der Eurydike ist eng mit dem Rilke-Satz „Sei allem Abschied voran“ verknüpft. Wenn Orpheus sie in der Unterwelt zum ersten Mal wiedersieht, fragt sie ihn, warum er hier sei. Er antwortet, weil er sie liebe. Sie sagt darauf: Wenn du mich lieben würdest, wärst du nicht gekommen, sondern hättest mich loslassen können. Kann dieses Loslassen wirklich noch ein Zusammensein beinhalten? Eurydike merkt schließlich, dass sie zu weit gegangen ist und nicht mehr zurückkommen kann.

Orpheus darf sich nicht umdrehen, wenn er versucht, Eurydike aus dem Hades herauszuführen. Warum misslingt das trotzdem?
Wir haben uns intensiv damit auseinandergesetzt, was dieses Verbot des Zurückschauens bedeutet. Was ist daran gefährlich? In politischer Hinsicht stellt sich die Frage, wie wichtig das Zurückschauen in die Vergangenheit ist: Wird man ein Gefangener der Vergangenheit oder wird man frei von ihr? Orpheus hat die Möglichkeit, göttlich zu werden und den Tod zu überwinden, doch im letzten Moment ist er zu neugierig und schaut zurück. Das gehört zu seiner Menschlichkeit. Er sagt bei uns, ich wollte nur zurückhören, ob sie noch da ist. Meine Augen waren eigentlich geschlossen. Ich weiß nicht, ob man ihm das glauben darf. Aber er hört schon genau zu, er ist kein Erstarrter. Auch er hat die Sätze von Rilke verstanden.

Die Produktionen von Port in Air waren bisher immer sehr musikalisch. Welche Rolle spielt die Musik diesmal?
Wir benutzen Musik von Monteverdi, Gluck, die „Missa Solemnis“ von Beethoven, aber auch ein ungarisches Roma-Lied über den Tod, das wir etwas abgewandelt haben. Es wird alles live gespielt und gesungen.

Gibt es inzwischen eigentlich einen festen Ensemble-Kern bei Port in Air?
Wir fangen jedes Jahr neu an. Vom letzten Stück sind gerade drei Darsteller übriggeblieben. Ich verstehe Port in Air als ein Angebot an die Studierenden, eine Theaterproduktion von Beginn an mitzuerleben. Deshalb nehme ich immer so viele auf, wie ich kann. Diesmal sind es sechzehn Studierende. Wir proben in der Regel ein Jahr und diese Probenarbeit ist sehr wichtig. Die Aufführung ist dann der Stand unserer Arbeit, wie weit wir gekommen sind. Die strenge Form unserer Stücke wirkt dabei wie ein Sicherheitsnetz. Niemand soll etwas machen, was ihm nicht entspricht.

Sie waren im Mai mit „Hardly Still Walking, Not Yet Flying“ beim Fringe Festival in Brighton. Ihre Arbeit wird also durchaus als professionell anerkannt?
Absolut. Ich bin sehr stolz darauf, was die Studenten leisten. Wir waren drei Mal für den Kölner Theaterpreis nominiert. Das ist für eine studentische Gruppe ein großer Erfolg. Wir sind nicht nur in Brighton, sondern auch in Edinburgh, in Sheffield und in Skopje gewesen. Die Truppe kann stolz auf sich sein.

„Fish in Styx“ | R: Richard Aczel | 7.-11.7., 27.-31.10. 20 Uhr | Studiobühne Köln | 0221 470 45 13

Interview: Hans-Christoph Zimmermann

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