
The Lost King
Großbritannien 2023, Laufzeit: 109 Min., FSK 6
Regie: Stephen Frears
Darsteller: Sally Hawkins, Steve Coogan, Harry Lloyd
>> www.x-verleih.de/filme/the-lost-king/
Tragikomische Geschichte nach einer wahren Begebenheit
Nach oben buddeln
„The Lost King“ von Stephen Frears
Man könnte die 50-jährige Philippa Langley bei ihrem Job im Dienstleistungssektor beinahe übereifrig nennen, vor allem in Anbetracht ihres seelenlosen Arbeitgebers und ihrer Vorgesetzten. Vielleicht glaubt sie, wegen ihrer Erkrankung an MS besser sein zu müssen als alle anderen. Und das ist sie auch. Als ein neues Team für eine besonders wichtige Aufgabe zusammengestellt wird, ist sie sich sicher, dass sie dabei sein wird. Doch anstelle von Philippa wird eine neue, viel jüngere Mitarbeiterin ausgewählt. Ob das nun an Alter und Aussehen der Kollegin liegt oder an Philippas Erkrankung, sei mal dahin gestellt. Philippa ist jedenfalls am Boden zerstört. Beim nächsten Teammeeting verlässt sie einfach den Raum, das Gebäude, die Stadt und zieht sich in ihrem Häuschen zurück. Dort wohnt sie mit den beiden Söhnen, ihr Ex-Mann hilft zwischendurch aus. Dass sie nicht zur Arbeit geht, verheimlicht sie ihrer Familie. Als ihr nach dem Besuch einer Aufführung von Shakespeares „Richard III.“ plötzlich und von da an regelmäßig jener scheinbar blutrünstige, bucklige König aus dem 15. Jahrhunderts leibhaftig erscheint, erzählt sie vorsichtshalber auch niemandem. Doch die Visionen erwecken in ihr ein Interesse für den König, der wie sie von der Gesellschaft auf seine körperliche Beeinträchtigung reduziert wird. Nach einem Treffen mit einer Gruppe „Richardianer“ keimt in ihr ein Entschluss: Sie möchte das Grab des nach seinem Tod verschollenen Königs finden und damit auch zugleich beweisen, dass er nicht dem grausigen Bild entspricht, dass die Nachwelt von ihm gezeichnet hat – allen voran Shakespeare.
Fast 40 Jahre ist es her, dass sich Stephen Frears mit der Hanif Kureishi-Verfilmung „Mein Wunderbarer Waschsalon“ einigen Underdogs widmete und den jungen Daniel Day-Lewis in einer der Hauptrollen zu internationaler Bekanntheit verhalf. Seitdem hat er über 20 Kinofilme, zahlreiche Fernsehfilme und etliche Serien und Mini-Serien inszeniert. Sie beschäftigen sich sicherlich nicht wie beim Kollegen Ken Loach alle mit Underdogs – man denke nur an „The Queen“ (2006) oder „Victoria & Abdul“ (2017). Aber die meisten seiner Filme sind doch „very british“. Sein neuer Film „The Lost King“ ist eine spannende Brücke zwischen den genannten royalen Filmen und den Underdogs. Im Zentrum steht die wunderbar von Sally Hawkins („Happy-go-lucky“, „We want Sex“, „Spencer“) verkörperte Philippa, die in einem permanenten Auf und Ab zwischen Schwäche kurz vor dem Zusammenbruch und einer enormen Stärke und Willenskraft agiert. Die braucht sie auch in ihrer vor allem von Männern dominierten Welt, gegen die sie sich erst auf ihrer Arbeitsstelle und dann als Hobby-Historikerin ohne akademische Weihen bei der Suche nach dem Grab von Richard III. wehren muss. Philippa scheint sich dabei im Gegensatz zu der an harten Fakten orientierten Wissenschaft vor allem von Gefühlen leiten zu lassen. Doch so scharf sind die Trennungslinien nicht, sonst hätte die echte Philippa mit ihrer Intuition wohl auch kaum Erfolg gehabt. Denn mit jeder neuen Eingebung sichert sich Philippa wissenschaftlich ab – auf ihre innere Stimme hört sie dann, um die neue Richtung einzuschlagen. Stephen Frears ist immer kurz davor, das vereinfacht als weibliche Intuition zu idealisieren, um anschließend doch wieder über die Gendergrenzen hinweg sein Plädoyer für nonkonforme Denk- und Handlungsweisen hochzuhalten. Natürlich landet er da auch immer wieder bei Klischees: das urige, einzelne Pub unter der riesigen Stahlbrücke als letzte Bastion der Richardianer, der steife Vorgesetzte im Büro, der Wendehals von der PR-Abteilung der University of Leisture – geschenkt. Die hat übrigens längst ein Statement verfasst, das der negativen Darstellung im Film entgegentritt, während die Richard III. Society, mit der Philippa schon früh zusammengearbeitet hat, durchaus diplomatisch Philippas Leistungen hervorhebt. Wie auch in der Geschichte um Richard III. hat da so jeder der Beteiligten seine eigene Wahrheit. Bevor Stephen Frears Heldin im Boden buddeln darf, begleitet er sie klassisch schwungvoll erzählt und mit vollster Sympathie bei ihrem Kampf nach oben durch die Institutionen. Dem kann man sich als Zuschauer dann auch kaum entziehen.
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