Oppenheimer
USA 2023, Laufzeit: 181 Min., FSK 12
Regie: Christopher Nolan
Darsteller: Cillian Murphy, Emily Blunt, Matt Damon, Robert Downey Jr.
>> www.upig.de/micro/oppenheimer
Glaubt man kaum
Matt513 (266), 25.02.2024
daß es sich hierbei um einen enorm profitablen Blockbuster handeln soll. Das ist knochentrockenes Historienkino mit einer kaum zu überblickenden Menge an Charakteren, fast alle männlich, sowie ansatzlos ineinander fließenden Erzählebenen und Zirkelschlüssen.
Namen und Gesichter flirren vorbei. Kennte man die Materie nicht auch nur minimal; das 'Nukleare Rennen' im 2. Weltkrieg sowie den Jahrzehnten danach, die Namen wesentlicher Spieler darin, die Fermis, Heisenbergs (Zwischenruf aus dem Publikum: "'Hat in Breaking Bad mitgespielt". *Arrgh*) Bohrs und Bethes, aber z.B. auch die causa Klaus Fuchs, der Film hätte einen bald verloren.
Und zu alledem dieses Tempo dann auch noch 3 Stunden lang durchhalten zu müssen, dann ist das eigentlich kein Film für die Massen. Wenn er trotzdem an der Kinokasse erfolgreich war, könnte das am Nimbus seines Regisseurs gelegen haben. Eben "der neue Nolan"; klar, den schaut man sich an.
Dessen Arbeit ist zunächst einmal sehenswert. Das Ensemble agiert nahtlos miteinander, die prall mit Dialog gefüllten Szenen wirken plastisch und real. Wie häufig bei historischen Filmen über Wissenschaftler, so muß auch Murphy hier einen Charakter glaubhaft erstehen lassen, der dem breiten Publikum unbekannt sein dürfte. Daß Gordon Sumner einst seinen kleinen Jungen vor 'Oppenheimer's deadly toy' zu retten suchte, daran werden sich nicht mehr viele erinnern.
Von außen betrachtet, erscheint Oppenheimers Erfolg im Manhattan Project wie ein Mysterium. Als Wissenschaftler brillant, charakterlich jedoch teils unzulänglich, drängte er sich nicht eben für die Leitung eines megateuren, vielköpfigen und unter hohem Termindruck stehenden Militärprojektes auf. Es muß sich glücklich gefügt haben, daß er durch das Elternhaus bestimmte Fähigkeiten und Ansichten vermittelt bekam, die sich als Schlüssel zum Erfolg erwiesen. Dadurch war er in der Lage, u.a. das größere Bild zu beurteilen, aus einem Wust von Informationen wesentliches zu destillieren, die kreative Atmosphäre in dem riesigen Forscherteam zu etablieren und wissenschaftliche Themen Nichtwissenschaftlern verständlich zu machen.
Bei seinen 3 Stunden leuchtet der Film dieses Davor jedoch nicht an. In der Wüste New Mexicos läuft seine Titelfigur unerklärt und wie selbstverständlich zur Hochform auf. Dadurch bleibt die charakterliche Zeichnung unterentwickelt, wenig mitreißend, halt in der esoterischen Bildersprache des Nolan'schen Erzählkinos verhaftet. Seine Folie bildet vielmehr eine Nebenhandlung, in welche ein früherer Förderer, später Widersacher involviert ist. Ein Fokus liegt dann auf dem Danach, inquisitorischen Befragungen passend zur McCarthy-Zeit, Oppenheimers kolportierter Verbindung zu den Kommunisten, über welche er seine Reputation verlor und jahrelang verfemt war. Der Konflikt der Wissenschaftler darüber, wie diese todbringende Technologie zu verwenden sei, nun da sie sie in die Welt gesetzt hatten, war vielgestaltig und widersprüchlich. Dies, dabei speziell Oppenheimers Perspektive, hätte im Film auch besser ausgearbeitet sein können, ist es aber nur in Ansätzen.
Was mir sehr gut gefiel, war die Maske. Wegen der multiplen Erzählebenen müssen Teile des Ensembles im Film über Jahrzehnte hinweg altern. Das ist gut gelungen. Es selbst hat Höhen und Tiefen. Den Ungarn Teller, der sich entgegen der Kernspaltung für ein Design mit Kernfusion stark machte, trifft sein Darsteller Safdie im Film schon sehr gut. Damon als General Groves ist keine gute Wahl, denn Groves war deutlich übergewichtig; mit das erste, woran ich nach Ansicht des Trailers denken mußte. Da hätte man in den heutigen Zeiten ja durchaus mit einem adipösen Darsteller noch Bonuspunkte bei der Academy sammeln können (und btw sich Rami Malek in einer belanglosen Nebenrolle sparen). Doch vermutlich wird Nolans Film dies gar nicht brauchen, sondern auch so der große Abräumer bei den Oscars sein.
Ins kalte Wasser geworfen
juliamuellerr (1), 31.08.2023
Von den Höhen und Tiefen des Manhattan-Projekts berichtet Nolan in seinem neuen Historienthriller auf brillante Weise. Der Regisseur bleibt seiner bekannten anachronologischen Erzählweise treu, indem er mit der farblichen Gestaltung spielt, wie die Darstellung der objektiven Szenen in schwarz-weiß und die aus Oppenheimers Sicht in Farbe. Besonders am Anfang des Films fühlt sich jedoch gerade diese Erzählweise an, als würde man ins kalte Wasser geworfen. Wer sich im Vorhinein noch nicht mit Oppenheimer beschäftigt hat, dem kann es schwerfallen, zu folgen. Die schiere Menge an Dialog ist überwältigend.
Mit den Gedanken im Kino kurz abschweifen? Geht nicht! „Oppenheimer“ verlangt die volle Aufmerksamkeit und das für drei Stunden, so viel ist sicher. Aber hat man den roten Faden des Films einmal gefunden, so will man ihn auch nicht mehr loslassen: Trotz eines praktischen Verzichts auf Spezialeffekte hält der Film die Aufmerksamkeit des Publikums. Das liegt mitunter an dem bekannten Cast, der hier zur Höchstform aufläuft. Murphy stellt die innere Zerrissenheit Oppenheimers zwischen der Leidenschaft zur Physik und dem Gebrauch seiner Forschungsergebnisse hervorragend dar. Das liegt aber vielmehr an seiner außergewöhnlichen Schauspielkunst, und ist nicht Nolans ausführlicher Auseinandersetzung mit einem ethisch komplexen Thema geschuldet. Oppenheimers Zwiespalt wird nur selten deutlich, es findet kein Austausch darüber statt, wie er sich fühlt – was bei einer Orientierung an der Biografie Oppenheimers, so wie sie laut Nolan stattfand, wünschenswert gewesen wäre. Andererseits wäre es auch kaum verwunderlich, hätte Nolan diese Thematik absichtlich nicht weiter ausgeschmückt. So verlangt der Film eine eigene Auseinandersetzung mit den ethischen Fragen, die Oppenheimer sich stellt. „Oppenheimer“ ist ein grandioser Film, der eine komplexe Thematik souverän behandelt und sich durch Nolans einzigartige Erzählweise und Regiekunst abhebt.
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