Eine Sekunde
China 2019, Laufzeit: 104 Min., FSK 12
Regie: Yimou Zhang
Darsteller: Zhang Yi, Haocun Liu, Wei Fan
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Kleines Drama über großes Kino
Schätze
„Eine Sekunde“ von Zhang Yimou
Nachdem der chinesische Regisseur Zhang Yimou („Rote Laterne“, „Hero“) zuletzt überwiegend trivial opulent und monumental inszenierte („The Great Wall“), liefert er mit „Eine Sekunde“ wieder eine kleine Filmperle, die sich nicht nur seinen frühen Werken annähert, sondern auch und vor allem dem Kino selbst.
Wir schreiben das Jahr 1975: Ein internierter Vater (Zhang Yi) entflieht dem Arbeitslager und ist emsig auf der Suche nach der Filmrolle einer Wochenschau, die im Kino in einem Dorf am Rand der Wüste gezeigt werden soll. Seine Tochter ist angeblich in dem Film zu sehen, und die vermisst er sehr. Auf seiner Suche begegnet er dem Waisenmädchen Liu (Liu Haocun), das gerade drauf und dran ist, Filmrollen zu stibitzen, um daraus für ihren kleinen Bruder eine Lampe zu basteln. Eine Interessenlage, die die beiden zu unfreiwilligen Gefährten aneinanderschweißt.
Arbeitslager, Propaganda, Denunziantentum: Das alles bildet den historischen Rahmen dieses Dramas, das mitten in der Kulturrevolution angesiedelt ist. Der Film wurde 2019, angeblich wegen technischer Probleme, kurzfristig aus dem Wettbewerb der Berlinale genommen. 2020 schließlich wurde „Eine Sekunde“ nach einem Nachdreh und um eine Minute gekürzt von der chinesischen Zensurbehörde freigegeben.
Ein holpriger Start. In der Folge bleibt dieses Drama in seiner gesellschaftspolitischen Betrachtung unscharf und kann, je nach Lesart, interpretiert werden. Zhang Yimou jedenfalls propagiert hier nicht die Propaganda, wenn er zeigt, wie im Kinosaal ein Propagandawerk projiziert wird. Dem Filmemacher geht es um das, was Kino auszulösen vermag: Emotionen. Herzstück seines Dramas ist zweifellos das Kino. Genauer: das analoge Kino. Zhang Yimou badet in Nostalgie und feiert das Zelluloid, indem er eine Geschichte um einen Vagabunden und ein Waisenkind spinnt – und um die Suche nach einem kleinen Filmstreifen. Und das ist schlichtweg wundervoll anzusehen. Die zwei Protagonisten liefern sich ein munteres Katz- und Mausspiel rund um die Filmrolle. Der ortsansässige Filmvorführer, an dem die beiden nicht vorbei kommen, ist die Ambivalenz in Person: ein Parteigänger, dem Kino ebenso verbunden wie seinem Eigennutz. Eine gefeierte Instanz, dem man nicht vertrauen darf, der aber herzbluterfüllt die ganze Gemeinde einspannt, als es darum geht, verschmutzte Filmrollen zu reinigen und zu trocknen. Um Kino möglich zu machen.
Hier, im Detail, feiert Zhang Yimou das Kino mit Herz und Leidenschaft. Die Narration mag gelegentlich dümpeln, aber der Spirit zählt, der Witz, die wundervolle Kameraarbeit (Zhao Xiaoding ) und, allen voran: die beiden Hauptdarsteller, die ihre Figuren gleichermaßen mit Herz und Trotz zu füllen vermögen und ganz wunderbar, in Glück und Leid, harmonisieren.
„Eine Sekunde“ ist ein Schelmenstück mit melodramatischer Note, das mit seinem Zensur-Hintergrund irritieren mag, aber das Herz berührt und damit einen Besuch wert ist.
(Hartmut Ernst)
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