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Kathrin Seward und Ole Elfenkaemper zu Gast im Filmhaus Köln
Frank Brenner

Im Abschiebegefängnis

04. Juni 2025

„An Hour From the Middle of Nowhere“ im Filmhaus – Foyer 06/25

Dienstag, 3. Juni: Es ist ein eher unbekanntes und in der Öffentlichkeit kaum thematisiertes Phänomen, dessen sich die Filmemacher:innen Kathrin Seward und Ole Elfenkaemper in ihrem ersten langen Dokumentarfilm angenommen haben. „An Hour From the Middle of Nowhere“ beschäftigt sich mit einer Abschiebeanstalt im US-amerikanischen Kaff Lumpkin im Bundesstaat Georgia. Diese ist zu fragwürdigem Ruhm gelangt, weil hier nicht nur weit über 1000 Gefangene auf ihr Urteil warten, sondern auch, weil das privat geführte Gefängnis zum Zeitpunkt des Beginns der Dreharbeiten eine Abschiebequote von 96% aufwies. Die Inhaftierten müssen gar nicht wirklich straffällig geworden sein, viele von ihnen wurden noch nicht einmal offiziell angeklagt. Mitunter reicht eine defekte Beleuchtung am Nummernschild des PKWs, damit ein rassistischer Polizist einen entsprechenden Vermerk im Protokoll macht, der anschließend dazu führt, dass der Betroffene aufgrund seines Migrationshintergrunds in das Abschiebegefängnis eingewiesen wird. Elfenkaemper und Seward beleuchten in ihrem Film in erster Linie den Alltag des Migrationsanwalts Marty Rosenbluth, der sich seit Jahren um Gerechtigkeit bemüht und deswegen auch selbst nach Lumpkin, Georgia, gezogen ist. Der Filmtitel bezieht sich auf ein Zitat Rosenbluths, der diesen Ort nicht im Nirgendwo verortet, sondern noch eine Stunde weiter weg. Es ist durchaus eine Strategie, das Abschiebegefängnis gerade dort errichtet zu haben, denn außer Rosenbluth verirrt sich kaum ein anderer Anwalt in diese Einöde, und Gespräche mit den Klienten aus der Ferne per Videochat zu führen, erweist sich als höchst ineffizient. Die persönliche Anwesenheit des Verteidigers für das eigentliche Verfahren können sich die meisten Angeklagten nicht leisten.


Ole Elfenkaemper berichtet von den Dreharbeiten, Foto: Frank Brenner

Unmenschliche Haftbedingungen

Bei der Köln-Premiere von „An Hour From the Middle of Nowhere“ im Filmhaus Köln erläuterte Elfenkaemper, dass sie über einen Artikel des Marshall Projects, einer gemeinnützigen Nachrichtenorganisation, die über das US-amerikanische Strafrechtssystem berichtet, auf die Abschiebeanstalt in Lumpkin aufmerksam geworden seien. Sie nahmen Kontakt mit Marty Rosenbluth auf, der sich sofort bereit erklärte, für einen Kurz-Dokumentarfilm der beiden Filmemacher:innen vor der Kamera zu stehen. Bereits 2018 traf man sich zu den ersten Aufnahmen, und es zeichnete sich schnell ab, dass das Material eher für einen abendfüllenden Film geeignet sei. Über mehrere Jahre kehrten Elfenkaemper und Seward immer wieder nach Georgia zurück, und kamen dabei zu einer ungewöhnlichen Erkenntnis: „Egal, welcher Präsident gerade an der Macht ist, an der Abschiebepraxis ändert sich nichts. Laut Marty wurde während der Obama-Administration sogar am meisten abgeschoben“, resümierte Kathrin Seward beim Publikumsgespräch in Köln. Die Tatsache, dass solche Haftanstalten privat geführt sind und Gewinn erwirtschaften müssen, ist nicht ungewöhnlich, sondern in den USA weit verbreitet. CoreCivic und The GEO Group würden sich dabei die meisten Anstalten untereinander aufteilen, so Elfenkaemper. Aufgrund dieser Situation sei die Medikamentenversorgung in den Gefängnissen nicht besonders gut, weswegen zahlreiche Menschen in der Haft sterben würden. Lumpkin im Speziellen sei ein wirtschaftlich stark heruntergekommener Ort mit ca. 1000 Einwohnern, die allerdings trotz der Abgeschiedenheit recht progressiv eingestellt seien und zumeist Demokraten wählten, weswegen Marty Rosenbluth nach eigener Aussage bislang für seine Arbeit noch keine Bedrohungen erhalten habe.


Elfenkaemper und Kathrin Seward mit Willa, Foto: Frank Brenner

Abschiebequote rückläufig

Beim Publikumsgespräch kam die Frage auf, warum die Filmemacher:innen nicht vergleichbare Anstalten in Deutschland zum Thema gemacht hätten, in denen die Situation durchaus vergleichbar sei. Ole Elfenkaemper erläuterte, dass dies ganz pragmatische Gründe habe. Sie hatten zuvor in Baltimore einen Kurzfilm über eine Suppenküche realisiert und waren anschließend weiter durch die USA gefahren auf der Suche nach einem weiteren spannenden Thema. „Außerdem ist in den USA das Datenschutz-Thema ziemlich egal, was das Arbeiten für uns wesentlich einfacher gestaltete“, ergänzte Elfenkaemper. Hinzu käme, dass Marty Rosenbluth aufgrund seiner einzigartigen Persönlichkeit mit ausschlaggebend dafür gewesen sei, dass sie diesen Film überhaupt realisieren wollten. Die Anzahl der Abschiebungen aus Lumpkin ist in den vergangenen sieben Jahren seit Beginn der Dreharbeiten um rund 20% zurückgegangen, was die Filmemacher:innen auch auf das Engagement des Rechtsanwalts zurückführten, der durch seine persönliche Anwesenheit vor Ort sicherlich dazu beigetragen habe, vor Gericht einen positiven Eindruck für seine Mandanten zu hinterlassen. Außer ihm gäbe es in Lumpkin noch eine Mini-NGO mit einem kleinen Haus, das Verwandte von Inhaftierten als Übernachtungsmöglichkeit zur Verfügung gestellt werden kann. Da es aber an entsprechendem Personal vor Ort mangelt, bleibt das Haus dennoch häufig geschlossen. Kathrin Seward und Ole Elfenkaemper haben das abgelegene Kaff in Georgia aber trotzdem in ihr Herz geschlossen und sind bereits dabei, einen weiteren Dokumentarfilm über Lumpkin fertigzustellen, dieses Mal aber mit einem humorvolleren Thema. „An Hour From the Middle of Nowhere“ startet am 12. Juni bundesweit in den Kinos und wird in Köln dann auch wieder im Filmhaus zu sehen sein.

Frank Brenner

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