„Euripides stellte die Opferperspektive in den Vordergrund. Und das in einer Zeit, in der in den Dramen vor allem männliche Helden und Mythengeschichten vorkamen“, so Sarah Lorenz, Dramaturgin von „Die Troerinnen“ am Schauspiel Köln. Die Tragödie blickt auf die Frauen der Stadt Troja, die aus dem brutalen Überfall der Griechen als Witwen hervorgegangen sind. In dem Wissen, dass ihr Schicksal nun alleine in den Händen der siegreichen Feinde liegt, müssen sie einer bitteren Zukunft entgegenblicken. Das Originalwerk des antiken Dramatikers Euripides wurde vermutlich 415 v. Chr. erstmals aufgeführt. In der neuen Inszenierung am Schauspiel Köln verzichtet die Regisseurin Lucia Bihler nun weitgehend auf den Originaltext und wählt stattdessen neue Formen der Erzählkunst: „So wie die Griechen auslosen, was mit den Frauen passiert, werden die Zuschauenden im ersten Teil auf die Bühne oder in den Zuschauersaal geführt“, erklärt Lorenz. Diese Auswahl bestimmt, wo sich die Zuschauer:innen für die erste halbe Stunde des Stückes wiederfinden: Auf der Bühne erwartet sie eine begehbare Installation, die Troja zu Friedenszeiten darstellt. Wer hingegen im Zuschauersaal landet, verfolgt über Kopfhörer als Live-Hörspiel bereits die Szenen des brutalen Krieges. Dadurch, dass die Besucher:innen auch selbst mit der trojanischen Welt interagieren dürfen, kommen auch Fragen und Gedanken bezüglich der eigenen Rolle auf, erklärt Lorenz. Wie verhalten wir uns in einem Land, in dem Frieden herrscht und wo wir selbst wählen können, inwiefern wir uns mit Kriegen, die uns nicht direkt betreffen, befassen wollen? Wie und wann kann man sich distanzieren? Und wann wird man involviert, ohne dass man das beeinflussen kann?
„Die Troerinnen“ ist außerdem ein Stück, das das Schicksal von Frauen in den Fokus nimmt. Doch sind die Witwen auch feministische Figuren, wo doch insbesondere ihr Leid thematisiert wird? Oft erwarten wir unter dieser Bezeichnung schließlich eher starke Kriegerinnen, die sich über Mut und Kraft definieren. Lorenz widerspricht jedoch dieser einseitigen Sicht: „Es wäre ein anderer feministische Ansatz, dass Frauen nicht ausschließlich stark sein müssen, sondern dass man auch den weicheren Aspekten im Leben Raum gibt, sowohl bei Männern als auch bei Frauen, auch wenn diese mitunter weniger kapitalistisch fördernd sind, oder in unserer Funktionsgesellschaft kaum Platz finden“, so die Dramaturgin.
Die Troerinnen | 28. (P), 30. 4., 9., 10., 11., 20., 21.5. | Schauspiel Köln | www.schauspiel.koeln
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