Darüber lässt sich Einigkeit erzielen: Genmanipulation, Ausbeutung von Erdböden, flächendeckender Einsatz von Antibiotika sind abzulehnen. Wer das allerdings zurückweist, findet sich umstandslos in der Bewegung „Die Regression“ wieder, die der britische Dramatiker Dennis Kelly in seinem gleichnamigen Drama (dt. „Der Weg zurück“) ins Zentrum rückt. Inszeniert wird es jetzt am Schauspiel Köln von Regisseur Moritz Sostmann, bekannt für seinen fantasievollen Umgang mit Puppen und Schauspieler:innen.
Über fünf Generationen schildert Kelly, wie sich eine Familie und ein Staat in eine immer größere Fortschritts- und Wissenschaftsfeindlichkeit hineinschrauben. Am Anfang steht ein reproduktionsmedizinisches Experiment, bei der die Mutter stirbt, die Tochter aber überlebt. Der Vater ruft die Regressions-Bewegung ins Leben. Tochter Dawn verübt bereits terroristische Anschläge und die beiden Enkel fungieren dann als Funktionäre eines „Nationalen Regressionsrates“. Der Protest verfestigt sich bis zur Propagierung eines umfassenden Nichtwissens und einer Sprache, die nur noch einsilbige Worte benutzt. Dystopie? Satire?
Regisseur Moritz Sostmann sieht das Stück als Untersuchung, „wie Radikalisierung entsteht“, und zieht eine Parallele zur Corona-Pandemie und den schweren sozialen Verwerfungen, die bis in privateste Verhältnisse hineinreichten. Nur umfassende Abrüstung im konfliktträchtigen Umgang miteinander führe angesichts zukünftiger Herausforderungen wie Künstliche Intelligenz oder Reproduktionsmedizin zu einer befriedeten Gesellschaft. Fortschritt folge zudem „keinen gesetzmäßigen Tendenzen“. „Die Zukunft ist offen“ formuliert Moritz Sostmann mit klarem dialektischem Blick. Angesichts von Kellys dystopischer Welt läge ein Einsatz von Puppen nahe. Doch Sostmann hat sich für ein Konzept entschieden, das Puppen weniger als agierende „Personen“ behandelt, sondern als „Projektionsfläche“. Dafür setzt er einige neue, aber auch nahezu alle Puppen ein, die jemals in seinen Kölner Inszenierungen zu sehen waren – ein radikales Stück erfordert schließlich ein radikales Konzept.
Der Weg zurück | R: Moritz Sostmann | 2., 4., 23.6. | Schauspiel Köln | 0221 22 12 84 00
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