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Frederike Bohr
Foto: Steffi Henn

„Es geht einfach ums Menschsein“

23. Januar 2020

Frederike Bohr über „Blut am Hals der Katze“ in der Studiobühne – Premiere 01/20

Die Außerirdische Phoebe Zeitgeist landet auf der Erde, um die Sprache der Menschen zu lernen. Sie trifft auf einzelne Gesellschaftsgruppen und begegnet deren Sprache in Alltagsszenen und Monologen. Dabei wird deutlich, dass gemeinsame Sprache nicht zwangsläufig auch funktionierende Kommunikation bedeutet. Frederike Bohr inszeniert das gesellschaftskritische Stück von Rainer Werner Fassbinder, dem Enfant Terrible der 70er Jahre.

choices: Frederike, wie fiel die Entscheidung für eine Inszenierung auf „Blut am Hals der Katze“?

Frederike Bohr: Der Leiter Dietmar Kobboldt fragte mich, ob ich die Inszenierung machen würde, da sie von mir schon bei einer Semesterpräsentation in Form von Monologen mit den Akteuren erarbeitet wurde. Das Interessante dabei ist, dass das Stück jetzt schon zum dritten Mal an der Studiobühne aufgeführt wird: Das erste Mal im Herbst 1990 unter der Regie von Bastiane Franke, dann im Mai 2007 unter der Leitung von Dietmar Kobboldt und jetzt, 2020, unter meiner Regie.

Das Stück von Fassbinder entstand 1971. Verfügt es immer noch über Aktualität?

Für mich ist das Stück nach wie vor aktuell, weil es in seiner Sprache und inhaltlich Themen bearbeitet, die sich bis heute nicht geändert haben, nämlich zwischenmenschliche, gesellschaftsrelevante und auch politische Themen. Was ich an dem Stück schön finde ist, dass es diese Zeitlosigkeit besitzt und dass wir von dem Stück fürs Heute, oder im Heute, noch unendlich viel lernen können.

Inwiefern unterscheidet sich die Produktion von den beiden letzten Inszenierungen?

Insofern, dass sie im Heute stattfindet und nicht vor 13 Jahren und dass sich thematisch schon wieder viel im Bewusstsein der Gesellschaft verändert hat und dadurch auch der Blick auf das Stück.

Wie bist du an die Umsetzung herangegangen?

Ich hab erstmal versucht, den Text aus meiner heutigen Sicht sowie aus der 70er-Jahre-Sicht heraus zu lesen. Ich habe recherchiert, was historisch gesehen in der Zeit so prägnant war, dass Fassbinder das Gefühl hatte, dieses Stück schreiben zu müssen. Für mich war schnell klar, dass es sich um Alltagsszenen, um eine Form der Sozialstudie handelt, um eine für mein Empfinden typische Fassbinder-Formalität. Dabei ging es darum, eine Gesellschaftsstudie hinzustellen und Inhalte aus verschiedensten Ecken der Gesellschaft aufzuzeigen, im Grunde also den Menschen darzustellen. Insofern habe ich mich zuerst nur auf die Worte konzentriert. Später habe ich dann entschieden, das Stück in seiner Ästhetik in den 70er Jahren zu lassen, aber mit einem Blick von heute, von 2019/20.


„Blut am Hals der Katze“, Foto: Thomas Vella

Vor allem die Kommunikation innerhalb einer Gesellschaft wird im Stück behandelt. Hat sich diesbezüglich seit der Uraufführung etwas verändert?

Die Formen der Kommunikation haben sich verändert. Auch wenn es um Inhalte geht, die gleichbleiben, weil Zwischenmenschlichkeit gleichbleibt, hat die Art der Kommunikation sich durch die rasante mediale Entwicklung gewandelt. Allein dass das, was früher per Hand geschrieben wurde, heutzutage mechanisch entsteht. Der Umgang mit Sprache hat sich in meinen Augen total geändert.

Zum Guten oder zum Schlechten?

Als Kind meiner Zeit liebe ich handgeschriebene Worte, finde es schön, Sprache zu hören, zu lesen oder auch zu sehen, wie sich Sprache über die Jahrzehnte verändert. Ich bin wohl eher ein Kind der Retrospektive. Ich schätze das durchdachte, zu Ende gesprochene Wort. Heute sehe ich in der Veränderung der Gesellschaftsstrukturen und damit der Veränderung der Sprache, wie sich Formulierungsweisen wandeln bzw. wie sich eine Form von Modernität herstellt, die ins Heute gehört, aber mit dem Früher nicht mehr viel zu tun hat. Ich finde es aber gut, das Heute anzuerkennen und das, was wir von früher mitnehmen, ins Heute mit einzubringen – dass wir sozusagen den Entwicklungsprozess von Generation zu Generation weiterführen. Ich bin der Meinung, man sollte nicht zurück, sondern mit der Zeit gehen.

Erfährt unsere Gesellschaft heute in gewisser Weise einen Sprachverlust?

Verlust ist mir zu sehr gewertet, da ich denke, dass durch den Verlust von alter Sprache, Sprachkonstrukten oder von Worten auch wieder etwas Neues entsteht und dass das für die Generation von heute nicht als Verlust anerkannt oder erkannt wird, sondern als eine Gänze, die in der heutigen Zeit anzusiedeln ist.

Welche Möglichkeiten ergeben sich dadurch, dass die Rollen nur skizziert sind?

Die Rollen können als entpersonifiziert angesehen werden. Das heißt, du kannst alles gesprochene Wort beliebig verteilen. Was Fassbinder angedacht hat, war eine Art von Personifizierung der einzelnen Gesellschaftsrollen. Dadurch, dass ich mehr Leute ins Ensemble geholt habe, als es Rollen gibt, ergab sich bereits zu Beginn, dass mehrere Personen eine Rolle spielen können. Durch die Freiheit hinsichtlich der Verteilung der Rollen habe ich gemerkt, wie irrelevant eine eindeutige Rollenverteilung ist, weil sich letztendlich diese Struktur ganz schnell auflösen lässt und der Sinn trotzdem weiter bestehen bleibt, weil es einfach ums Menschsein geht und nicht um diese Form von Rollenzuweisung in einer Gesellschaft.

Du bist schon lange an der Studiobühne tätig. Was macht dir am meisten Freude an der Arbeit?

Die größte Freude bereitet mir der Dialog mit den Schauspielern und Schauspielerinnen und die Atmosphäre des Theaters – diese Art von Ästhetik, die durch Bühnenarbeit entsteht für mich zu erleben und ein Stück weit auch komponieren zu können. In den Akteuren und Akteurinnen habe ich Menschen gefunden, die mich teilweise schon seit mehreren Jahren begleiten und bei denen ich den Prozess im schauspielerischen Handwerk sehe. Für mich geht es darum, den Schauspielern ein Handwerkszeug mitzugeben, das sie sowohl auf der Bühne als auch im Leben weiter benutzen können. Es geht um Persönlichkeitsentwicklung, um Präsenz, um eine Form des Weitergebens von Menschlichkeit innerhalb einer Gesellschaftsstruktur. Theaterarbeit ist so viel mehr, als etwas zu zeigen oder seine Ideen nach außen zu tragen. Theaterarbeit ist ein Mitwirken an Gesellschaftsentwicklung und da halte ich die Studiobühne für einen wunderbaren Ort, an dem man merkt, dass die Verbindung aus Lehre und Lernen im Leben sehr nah beieinander steht und dass Theater da einen ganz großen Beitrag leistet.

Was kann man aus dem Stück mitnehmen?

Mir ist es wichtig, dass die Zuschauer und Zuschauerinnen die Veränderungen, aber auch die Parallelen zwischen dem Damals und dem Heute begreifen, zum Beispiel in Bezug auf die Kommunikationsstrukturen, die Botschaften, die in jedem Satz stecken oder auch die Kraft einer Botschaft, die Kraft eines Wortes. Heutzutage wird – vielleicht auch auf Grund der Vielzahl der Kommunikationsmöglichkeiten in der sich verändernden medialen Welt – oft verkannt, was Worte anrichten können. Jeder kann für sich ein Statement entwickeln, wo er in der heutigen Welt steht im Bezug zu dem, was auf der Bühne passiert.

Also geht es auch darum, Sprache nochmal anders wahrzunehmen?

Es geht darum, Sprache bewusst wahrzunehmen, Sprache, und auch der Art der Sprache, eine Bedeutung zu geben, sich zu überlegen, wie sich Sprache oder Sprachkultur heutzutage verändert hat, auch im Hinblick darauf, wie jeder seine Meinung heutzutage in einer Form von demokratischem Verhältnis kundtun kann. Durch die Öffnung des Internets oder der Kommunikationsstrukturen zum Beispiel, ist eine Form von Demokratie entstanden, eine Demokratie in einer Kommunikationswelt, die einfach einer großen Verantwortung bedarf und da geht es dann eben um die Kraft des Wortes.

„Blut am Hals der Katze“ | R: Frederike Bohr | 24.1.(P) - 28.1. je 20 Uhr | Studiobühne Köln | 0221 470 45 13

INTERVIEW: VIKTORIA LOHNER

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