Regisseur Rafael Sanchez übernimmt für die kommende Spielzeit die Intendanz des Schauspiels Köln. Im Interview sprechen er und Dramaturgin Sibylle Dudek über den Spielplan und den verschobenen Umzug des Schauspiels an den Offenbachplatz.
choices: Herr Sanchez, Frau Dudek, das Motto Ihrer Interimsspielzeit 2024/25 lautet „Schauspiel Köln Forever and Ever“ – das klingt nach einer alten Liebe?
Rafael Sanchez (RS): Ja, es ist eine gewachsene Liebe, die sich nicht mal durch die herausfordernden Umstände erschüttern lässt. Wir haben im Spielzeit-Heft erstmal nur die Produktionen der ersten Spielzeithälfte preisgegeben. Erstens, weil wir hoffen, doch noch an den Offenbachplatz ziehen zu können. Zweitens haben wir für das sanierte Haus mit seinen drei Spielstätten, also große Bühne, kleines Haus und Depot 2, geplant. Aber parallel hatten wir einen Plan B für die bisherigen beiden Spielstätten im Depot in der Schublade. Wir haben von Beginn an die Teams gebeten, zweigleisig zu planen, also zwei Bühnenbilder sowohl für den Offenbachplatz wie fürs Depot 1 zu entwerfen.
Eigentlich könnte man sagen: Für das Schauspiel Köln bleibt alles beim Alten. Sie wissen beim Depot, worauf Sie sich einlassen. Alles geht seinen gewohnten Gang.
RS: Pragmatisch gesprochen ist es bequemer. Der Umzug wäre sehr herausfordernd geworden. Die Bauprobe für das Bühnenbild von „Grmpf. Eine musikalische Baustelle“ hatten wir tatsächlich mit Bauhelmen und Warnwesten für alle Beteiligten auf der Baustelle am Offenbachplatz.
Sibylle Dudek (SD): Einige Mitarbeiter:innen und Ensemblemitglieder, die schon lange in Köln sind und auch weiterhin bleiben, hatten schon die Hoffnung und den Wunsch, diesen Neustart mitzuerleben. Dass wir wieder im Depot starten, ist auch die Geschichte einer Enttäuschung; die Ensembles-Fotos in unserm Spielzeitheft …
… die das Ensemble auf der Baustelle zeigen …
SD: … spiegeln diese Begegnung mit der Realität. Auch wenn wir dabei durchaus gute Laune hatten, war das doch ziemlich ernüchternd.
Ist Ihre Eröffnungsproduktion mit dem schönen Cartoon-Titel „Grmpf. Eine musikalische Baustelle“ so etwas wie eine Reaktion auf die Tatsache, dass Sie an alter Stätte bleiben müssen?
RS: Wir hätten die Produktion sowieso gemacht. Am Offenbachplatz wäre es die Eröffnungsgala zur falschen Zeit gewesen; jetzt ist es eine Eröffnungsgala zur falschen Zeit und am falschen Ort. Es soll ein Katastrophenstück zwischen Satire und Kabarett mit viel Musik werden. Darin kommt der Monolog einer Schauspielerin vor, die daran verzweifelt, dass sie einen Trockenbauer verkörpern muss, während ihr eigentlich für Köln der Hamlet versprochen wurde. Zugleich wollen wir dem Publikum eine Möglichkeit bieten, an die Geschichte der Baustelle anzudocken. Gelegentlich liest man darüber zwar etwas in der Zeitung, aber kaum jemand kann sich vorstellen, was dort gerade passiert und was alles nicht funktioniert. Wir werden wahrscheinlich auch mal live zur Baustelle schalten, damit man eine Vorstellung bekommt, wie kompliziert das derzeit noch ist. Es geht dabei aber nicht darum, irgendjemandem an den Karren zu fahren.
Wie haben Sie denn Teams wie zum Beispiel das um den Regisseur Bastian Kraft, der „Eine Katze auf dem heißen Blechdach“ inszeniert, überzeugen können?
SD: Zu Bastian Kraft haben wir hier am Haus eine sehr lange Arbeitsbeziehung, ich selbst kenne ihn noch länger. Bastian Kraft ist jemand mit sehr guten Nerven, der nicht so leicht zu verunsichern und zu beunruhigen ist. Auch die Kolleg:innen, mit denen wir noch nicht gearbeitet haben, hatten Lust, sich auf dieses Abenteuer einzulassen. Das lag auch daran, dass wir von Beginn an mit offenen Karten gespielt haben. Auch weil wir selbst ja mit dieser Unklarheit konfrontiert sind.
Eine Regisseurin wie Yael Ronen war noch nie in Köln. Mit welchen Ködern konnte Sie sie denn ins Ungewisse locken?
RS: Ich bin sehr stolz, dass wir trotz der Unsicherheit Regisseur:innen wie Yael Ronen oder Antú Romero Nunes, der einen Roman von Olga Tokarczuk dramatisiert, nach Köln verpflichten konnten.
Verpflichten konnten Sie auch Poutiaire Lionel Somé, der eigentlich vom Film kommt, und Alexandra Badeas Stück „Aus dem Schatten: Thiaroye“ auf die Bühne bringt.
RS: Poutiaire Lionel Somé hat mit Christoph Schlingensief in Burkina Faso zusammengearbeitet und später in Köln Film studiert. Er beschäftigt sich in Alexandra Badeas Stück mit der Geschichte der sogenannten „Senegalschützen“, senegalesischen Soldaten, die von der französischen Armee rekrutiert wurden. Als sie sich 1944 gegen die Unterschlagung ihres Solds wehrten, wurden viele im Massaker von Thiaroye ermordet. Lionel Somés Großvater war selbst bei den „Senegalschützen“ - was er tatsächlich erst im Rahmen der Recherche zum Stück erfuhr.
Ihr Spielplan versammelt erstaunlich viele Familienstücke: „Die Katze auf dem heißen Blechdach“, „We are family“ von Tine Rahel Völcker über den Atriden-Mythos und „Vatermal“ nach dem Roman von Necati Öziri. Wenn man den Begriff der Familie noch weiter fasst, dann könnte man noch weitere Stücke darunter subsumieren.
RS: Das liegt wahrscheinlich an unserem Alter: Wir werden alt.
SD: Familie ist immer ein Thema, weil die innerfamiliären Prägungen unsere Leben bestimmen. Bei vielen dieser Stücke und Stoffe wird Familie sehr stark zusammengedacht mit Fragen der Herkunft oder Zugehörigkeit. Wir haben allerdings nicht von Beginn an das Oberthema Familie gesetzt und uns dann auf die Suche nach Stoffen gemacht.Es war eher so, dass die Gespräche mit den Teams bei den jeweiligen Stücken gelandet sind. Erst im Rückblick haben wir dann diese Gemeinsamkeit festgestellt. Dass so viele Teams sich damit beschäftigen – also Fragen stellen wie „Was geben wir weiter?“ oder „Können wir Prägungen auch wieder loswerden oder begleiten sie uns durch unser ganzes Leben?“ – das hat sicherlich auch gesellschaftliche Ursachen.
Bietet eine Interimspielzeit auch Chancen, unbekannte Autor:innen zu entdecken, die man sonst in dieser Häufung nicht im Spielplan unterbringen würde?
SD: Es ist auf jeden Fall eine Chance, mutiger zu sein als sonst. Wir zeigen drei Uraufführungen und drei Werkaufträge gleich am Anfang. Gerade weil es eine derart verrückte Spielzeit ist, haben wir uns ein paar Sachen getraut, die man sich bei einer ordentlichen Fünf-Jahres-Intendanz vielleicht nicht an den Beginn gesetzt hätte.
RS: Wir gehen allerdings nicht nur ins volle Risiko, sondern haben auch einige große Titel wie „Die Katze auf dem heißen Blechdach“, „Was ihr wollt“ oder „Momo“ im Programm.
Gab es denn auch Regisseur:innen, deren Engagement ihnen quasi ein Herzensanliegen war?
RS: Yael Ronen finde ich grandios und ich habe mich immer gefragt, warum sie noch nie hier in Köln inszeniert hat. Bei Antú Romero Nunes geht es mir ähnlich. Andererseits war es uns wichtig, frühere Kölner Assistent:innen wie Pinar Karabulut, Charlotte Sprenger und Matthias Köhler, die inzwischen ganz eigene Handschriften entwickelt und tolle Karrieren gemacht haben, hier wieder zu zeigen – aber auch den derzeitigen Assistent:innen wie Paula Pohlus und Lidia Polito die Chance für eigene Arbeiten zu geben. Das ist vielleicht auf andere Weise auch eine Art von Familienzusammenarbeit.
Das ergibt, wenn man die Engagements von Jana Vetten, Jorinde Dröse oder Fritzi Wartenberg hinzurechnet, eine sehr hohe Frauenquote: Absicht oder Zufall?
SD: Klare Absicht! Es gibt einfach sehr viele gute Regisseurinnen und Autorinnen – und so war es kein Problem, einen ausgewogenen und multiperspektivischen Spielplan zu erarbeiten.
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