Ein nasskalter Abend. Regentropfen reflektieren das Licht des Gegenverkehrs wie kleine Discokugeln. Wer sich nun ans Tempolimit hält, ist schon zu schnell. Dennoch überholen Menschen einander, selbst bei nahendem Gegenverkehr und mit vorwurfsvoll aufheulendem Motor.
Diese Nervosität ist in Schweden kaum denkbar, wo auf Landstraßen Tempo 80 gilt und viele Strecken mit Barrieren zwischen den Spuren ausgestattet sind. Das Land hat seit 1997 die sogenannte Vision Zero praktisch in seine Verkehrspolitik aufgenommen – ein verstörendes Ideal, bedenkt man, wie selbstverständlich wir Verkehrsopfer als Kollateralschaden hinnehmen. Vision Zero hingegen strebt null Tote an. „Als Gesellschaft müssen wir verstehen, dass wir Mobilität, aber gleichzeitig auch Sicherheit verlangen dürfen“, sagt Claes Tingvall in einem Video auf dem YouTube-Kanal Business Sweden. Der gelernte Epidemiologie hat die Vision Zero mitentwickelt und rund 150 wissenschaftliche Beiträge zur Verkehrssicherheit publiziert. Er steht der Towards Zero Foundation vor und kann auf das zurückschauen, was von seiner Utopie umgesetzt wurde. Engere Straßen und breitere Bürgersteige, großzügig verteilte Kreisverkehre, eine 0,2-Promille-Grenze und Regeln, die den Geist der Entschleunigung atmen. Grün für beide Richtungen, so dass Linksabbieger auf die Vorfahrt des Gegenverkehrs achten müssen? Schweden warten lieber länger an der Ampel.
Dieser Geist wirkt auf die Mentalität der Menschen, die noch mehr Sicherheit verlangen. Eine positive Aufwärtsschleife. So fällt die Todesrate trotz steigenden Verkehrsaufkommens. Die Politik reagiert auf die Fehlerhaftigkeit des Menschen mit möglichst makellosen Strukturen.Ein Slogan der Bewegung Vision Zero lautet: „In every situation a person might fail. The road system should not.“Schwedische Autobauer wie Volvo legen mehr Wert auf Sicherheit denn je. Inwiefern selbstfahrende Wagen in Zukunft hilfreich sein können, ist ein Thema für sich. Wie entscheidet künstliche Intelligenz, wenn sie in einer schlimmen Situation vor der Wahl steht, entweder ein Kind oder eine Rentnerin zu treffen?
Wahrscheinlich ist: Derzeit, mit Menschen am Steuer, erlebt man keine nervösen Überholmanöver auf den Straßen zwischen Malmö und Kiruna.
Die Furcht vor der Fantasie - Lesen Sie weitere Artikel
zum Thema auch unter: trailer-ruhr.de/thema und engels-kultur.de/thema
Aktiv im Thema
volocopter.com/de | Unternehmensseite der elektrischen Senkrechtstarter zur Personenbeförderung.
infas.de/themen/mobilitaetsforschung | Das Institut für angewandte Sozialforschung diskutiert die mobile Zukunft
zukunftsinstitut.de | Der in Frankfurt a. M. ansässige Think Tank analysiert Trends in Europa.
Fragen der Zeit: Wie wollen wir leben?
Schreiben Sie uns unter meinung@choices.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Realitätsschock
Intro - Traumtänzer
Kein Geld ist auch keine Lösung
Verteilungskämpfe in einer geldlosen Gesellschaft
Verkehr ohne Tote
Entschleunigung auf den Straßen – Europa-Vorbild: Schweden
„Ein Mechanismus, der besser ist als der Markt“
Medienwissenschaftler Stefan Heidenreich über das Verschwinden des Geldes als Zahlungsmittel
„Lernen hat mit Liebe und Kreativität zu tun“
Das Kaffe Güzel in Köln-Zollstock
Ablenkungsversuch
Intro – Hab’ keine Angst
Angst über Generationen
Teil 1: Leitartikel – Wie Weltgeschehen und Alltag unsere Sorgen prägen
„Psychische Erkrankungen haben nichts mit Zusammenreißen zu tun“
Teil 1: Interview – Psychologe Jens Plag über Angststörungen
Sorgen und Erfahrungen teilen
Teil 1: Lokale Initiativen – Der Kölner Verein Rat und Tat unterstützt Angehörige von psychisch kranken Menschen
Keine Panik!
Teil 2: Leitartikel – Angst als stotternder Motor der Vernunft
„Nicht nur ärztliche, sondern auch politische Entscheidung“
Teil 2: Interview – Psychiater Mazda Adli über Ängste infolge des Klimawandels
Weltweit für Menschenrechte
Teil 2: Lokale Initiativen – Amnesty International in Bochum
Wie die AfD stoppen?
Teil 3: Leitartikel – Plädoyer für eine an den Bedürfnissen der Mehrheit orientierte Politik
„Das Gefühl, dass wir den Krisen hinterherjagen“
Teil 3: Interview – Miriam Witz von Mein Grundeinkommen e.V. über Existenzängste und Umverteilung
Gefestigtes Umfeld
Teil 3: Lokale Initiativen – Wuppertals Verein Chance 8 fördert Chancengleichheit für Kinder
Soziale Bakterien
Den Ursprüngen sozialer Phobien auf der Spur – Europa-Vorbild: Irland
Im Sturm der Ignoranz
Eine Geschichte mit tödlichem Ausgang – Glosse
Gelassen ernst
Intro – Unheimlich schön
11 Millionen Eitelkeiten
Teil 1: Leitartikel – Fitnessstudios: zwischen Gesundheitstempeln, Muckibuden, Selbstverliebtheiten und Selbstgeißelung?
„Sport wird instrumentalisiert, um positive Emotionen zu empfinden“
Teil 1: Interview – Sportpsychologin Jana Strahler über Sportsucht
Leistung ist nicht alles
Teil 1: Lokale Initiativen – Initiative an der Deutschen Sporthochschule fördert psychische Gesundheit
Im Namen der Schönheit
Teil 2: Leitartikel – Über körperliche Wunschbilder und fragwürdige Operationen
„Ausstrahlung ist mehr als die äußere Erscheinung“
Teil 2: Interview – Psychoanalytikerin Ada Borkenhagen über Schönheitsoperationen
Damit eine grausame Tradition endet
Teil 2: Lokale Initiativen – Düsseldorf: Verein stop mutilation gegen weibliche Genitalbeschneidung
Ist Schönheit egal?
Teil 3: Leitartikel – Zwischen Body Positivity und Body Neutrality