choices: Herr Zaum, passen Ökologie und Sozialpolitik zusammen?
Hermann Zaum: Das soziale Zusammenleben der Menschen, eine intakte Umwelt und die wirtschaftliche Entwicklung sind untrennbar miteinander verbunden. Schon Anfang der Neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts ist dies von den Vereinten Nationen unter dem Aktionsprogramm „Agenda 21“ angestoßen worden. Ökologische Ziele wie zum Beispiel der Klimaschutz durch Energieeinsparung haben ihre unmittelbaren Auswirkungen auf die Lebenssituation der Menschen und damit auch auf die Sozialpolitik. Wenn Energie knapp und teuer wird, trifft es die Familien mit niedrigem Einkommen zuerst. Bei der Forderung nach einer guten Wärmeisolierung im sozialen Wohnungsbau ergänzen sich also ökologische Ziele und sozialpolitische Forderungen.
Ihr Verband hat zum Europäischen Jahr gegen Armut und Ausgrenzung 2010 ein armutspolitisches Gesamtkonzept gefordert.
In Deutschland wird das Europäische Jahr durch die Förderung von bundesweit rund 60 kleineren Einzelprojekten umgesetzt. Fast die Hälfte des Gesamtetats von 2,25 Mio. Euro wird für Werbung und Organisation ausgegeben. Eine wirkliche Armutsbekämpfung ist das nicht. Nach dem Scheitern der Hartz IV-Gesetzgebung brauchen wir vor allem eine Bekämpfung der Kinderarmut. Fast 800.000 Kindern und Jugendlichen droht allein in Nordrhein-Westfalen durch Armut das gesellschaftliche Abseits. Außerdem brauchen wir mehr öffentlich geförderte sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, um Langzeitarbeitslosen dauerhafte Perspektiven zu geben.
Unter anderem fordern Sie für einkommensschwache Familien kostenfreie Angebote in Bildung, Sport und Kultur. Da sind vor allem die Kommunen gefordert, die so gut wie pleite sind.
Bildung ist EIN Schlüssel, um den Teufelskreis der Armut zu durchbrechen. Sport und Bewegung, Kreativität und Kultur, Ernährung und Gesundheit haben dabei eine zentrale Rolle. Das darf nicht am Einkommen der Eltern scheitern. Es geht um wirkliche Teilhabe, und hier sind in der Tat die Kommunen gefordert. Doch für sie wird es immer schwieriger. Wir brauchen eine grundlegende kommunale Finanzreform, denn die Städte, Gemeinden und Kreise können ihre dringenden Aufgaben der kommunalen Daseinsvorsorge kaum noch leisten. Hinzu kommen die rigiden Haushaltsvorgaben der Kommunalaufsichten. Sie verlangen in „Not-Haushalten“ erhebliche Einschnitte bei den sogenannten „Freiwilligen Leistungen“, wovon zumeist die sozialen Dienste und Einrichtungen betroffen sind.
Wie steht es um den Kampf gegen Armut in der Region?
Auf der kommunalen Ebene geht es bei der Armutsbekämpfung immer um – möglichst gleichberechtigte – Teilhabemöglichkeiten. Diese Aufgabe wird in Regionen mit größerer Finanzkraft nur relativiert. Im Grundsatz aber stellt sie sich überall. Das wichtigste kommunalpolitische Instrument zur Steuerung solcher Maßnahmen ist ein detaillierter Armuts- oder Sozialbericht, in dem nicht nur stadtteilbezogen die soziale Lage analysiert wird, sondern in dem auch Ziele festgelegt und regelmäßig überprüft werden.
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