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„Mitos Minotauros“
Foto: Alessandre de Matteis

„Wie wird ein Mensch zum Ungeheuer gemacht?“

27. August 2015

Tripletrips widmen sich in ihrem neuen Stück dem Mythos vom Minotaurus – Premiere 09/15

Als die Gruppe Tripletrips um Markus Tomczyk und Nikos Konstantakis im vergangenen Herbst ihr erstes Stück „Meat Market“ herausbrachten, war die Überraschung groß. Nahezu wortlose Bewegungsfolgen verdichteten sich zu eindringlichem Konzepttheater. Bei ihrem neuen Projekt „Mitos Minotauros“ arbeiten sie mit dem bildenden Künstler Philipp Dreber zusammen. Ob der neue Abend wieder so stumm bleibt, erzählen Tomczyk und Konstantakis, die gerade in Griechenland zum neuen Stück recherchieren, im Skype-Interview.

choices: Herr Tomczyk, Herr Konstantakis, Sie sind gerade in Griechenland und recherchieren für Mitos Minotauros. Was haben Sie herausgefunden?
Markus Tomczyk (MT): Wir sind auf Kreta auf den Spuren des Mythos und haben uns in Knossos den Palast des Königs Minos angeschaut, in dem der Mythos vom Minotaurus seinen Ursprung hat. Wir wollten einen Spirit dafür bekommen und sehen, wie man hier mit dem Mythos umgeht.

Geht es nur um die authentische Atmo oder sind Sie auf Dinge gestoßen, die sie auch verwenden wollen?
MT: Wir arbeiten sehr stark mit Bildern und Assoziationen. In „Mitos Minotauros“ wollen wir untersuchen, worin sich heute dieser Mythos widerspiegelt. Wir hatten bei unseren ersten Recherchen in Deutschland die Idee eines durchgehenden Sounds und dafür zunächst einen Herzschlag benutzt. Hier vor Ort sind wir auf die extrem lauten Zikaden gestoßen. Das erfordert einen ganz anderen Umgang miteinander: Man muss lauter miteinander sprechen, kann nicht drumrumreden, sondern sagt kurz und knapp, worum es geht.
Nikos Konstantakis (NK): Wir haben auch die speziellen Farben der Wandmalereien oder der Säulen im minoischen Palast studiert, aber auch die Körperhaltungen der Figuren auf den Kunstwerken.

Was bedeutet eigentlich der Titel Mitos Minotauros?

Nikos Konstantakis/Markus Tomczyk
Foto: Alessandre de Matteis

Nikos Konstantakis wurde in Griechenland geboren. Er studierte Soziologie und Schauspiel in Athen. Nach einer einjährigen Tanzausbildung in Berlin schloss er das Masterprogramm Tanzvermittlung an der HfMT Köln ab. Seit 2006 arbeitet er als Schauspieler und Performer im Theater, Film und Fernsehen.

Markus Tomczyk arbeitete nach seiner Schauspielausbildung an der HfS „Ernst Busch“ Berlin mit Regisseuren wie Nuran David Calis, Ulrich Rasche, Sven Taddicken und Lars von Trier. 2008 wurde er zum Nachwuchsschauspieler des Jahres beim Filmfest München prämiert. Er ist Preisträger des Günther-Strack-Fernsehpreis 2009 des Studio Hamburg als bester Nachwuchsschauspieler. Seit 2013 lebt er in Köln, wo er seinen Master in Tanzvermittlung im zeitgenössischen Kontext an der HfMT Köln absolvierte. Zusammen mit Nikos Konstantakis gründete er 2014 die Gruppe Tripletrips.


NK: Mitos bedeutet der Faden und steht für das Wollknäuel, das Theseus von Ariadne bekam, um im Labyrinth wieder zum Ausgang zu zurückzufinden, und gleichzeitig für den roten Faden der Geschichte.
MT: Bei der Beschäftigung mit dem Minotaurus sind wir auf das Phänomen gestoßen, dass im Mythos nur seine Geburt als Wesen zwischen Mensch und Stier und am Ende der Tod durch Theseus erzählt wird. Uns interessiert diese Phase dazwischen: Wie fühlt man sich, wenn man abgeschottet und alleine in einem Labyrinth lebt und dazu noch speziell ist. Wir haben einen sehr poetischen und wundervollen Text von Dürrenmatt gefunden, der dieses Leben in ein Spiegellabyrinth verlegt. Minotaurus weißnicht, dass es ein ungewöhnliches Wesen ist. Er lernt sich erst dadurch kennen, dass er sich ständig in sich selbst spiegelt.

Wie lässt sich denn dieses merkwürdige Doppelgestalt aus Mensch und Stier, aus Paria und Untier ins Heute übertragen?
MT: Wir haben eine Körperrecherche angestellt, bei der wir nachÜberschneidungen im Verhalten und in der Bewegung bei Tier und Mensch gesucht haben. Die Frage war, wo und wie wird ein Mensch zum Ungeheuer gemacht?

Wo haben Sie das Animalische im Menschen aufgespürt?
MT: Wir beide arbeiten auch mit Kindern und Jugendlichen. Ich zum Beispiel mit geistig und körperlich behinderten Menschen in der Förderschule Redwitzstraße in Köln. Sie gelten zwar in Zeiten von Inklusion als gleichwertige Menschen, aber gleichzeitig brauchen sie eine spezielle Förderung und Behandlung. Diese Kinder haben einerseits eine klarere, offensivere Haltung zum Leben, gleichzeitig werden sie in ein Labyrinth, eine klare Struktur gesteckt. Wir haben uns gefragt, was es für Eltern bedeutet, die bei der Geburt entdecken, dass ihr Kind behindert ist.

Im Minotaurus steckt aber doch auch ein Ungeheuer, dem zur Besänftigung alljährlich junge Männer und Frauen geopfert werden.
MT: Wir arbeiten mit dem Kölner Künstler Philipp Dreber zusammen. Er hat einen Bühnenraum entworfen, der Spielfläche und Zuschauerraum nicht strikt trennt. Alle bewegen sich im selben Raum, der sich öffnet und wieder schließt. Als Performer können wir dem Publikum sehr nahe kommen. Es besteht die Gefahr des Übergriffs. Bei Dürrenmatt wird das Bedrohliche sehr schön beschrieben: Dort begegnet Minotaurus einer jungen Frau und freut sich darüber wahnsinnig. Er lässt seinen Gefühlen freien Lauf, spielt mit ihr und tötet sie dabei unbeabsichtigt.
NK: Es gibt die Spannung zwischen dem Tier und der Gesellschaft und darin liegt ein politisches Moment.

Ist das Labyrinth ein Bild für diese gesellschaftlichen Zwänge?
NK: Häufig tragen wir das Labyrinth in unserem Kopf mit uns herum. Man kann in seinen Gedanken gefangen sein, während man doch eigentlich frei ist, alles Mögliche zu tun. Die Zwänge können auch psychisch bedingt sein. Das Labyrinth ist häufig kein physisches.
MT: Wir haben uns die Frage gestellt, wo wir heute auf Labyrinthe treffen, im physischen, aber auch im geistigen Leben. Menschen, die in der Kindheit sexuell missbraucht wurden beispielsweise, schaffen sich später Schutzmechanismen, die ihr gesamtes Leben beeinflussen. So wie Minotaurus aufgrund seines Andersseins versteckt und ausgestoßen wird, so haben wir alle unsere Vergangenheit, die uns zu dem macht, was wir sind. Manchmal führt uns das in eine Art Labyrinth.

Wird es Text geben? In welchem Verhältnis stehen Text und Bewegung?
NK: Wenn wir mit der Stückrecherche beginnen, schaffen wir uns zunächst einen Pool von Ideen und dabei ist es gleichgültig, ob das Bewegungen oder Texte sind.
MT:
Wir wollten uns diesmal an einer Geschichte abarbeiten. Es wirdwesentlich mehr Text geben als in „Meat Market“, unserer ersten Produktion. Wir haben Interviews mit Menschen mit psychischen Problemen zu Monologen verarbeitet, ein griechisches Gedicht zur Geschichte des Minotaurus wird darin vorkommen, in einem Part werden Fragen an Flüchtlinge gestellt.

Wie hat sich Tripletrips formiert? Gibt es ein festes Team?
MT: Wir beide haben Schauspiel studiert, ich an der Hochschule Ernst Busch in Berlin, Nikos in Athen. Begegnet sind wir uns vor drei Jahren beim Masterstudium an der Hochschule für Musik und Tanz in Köln. Unsere Wurzeln liegen also eigentlich im klassischen Sprechtheater, wir sind aber beide sehr tanz- und bewegungsaffin. Tripletrips gibt es erst seit einem Jahr. Die Idee ist, dass wir uns immer wieder einen Dritten mit ins Boot holen, der neue Impulse, mit dem es einen offenen Austausch gibt. Das ist nach Theresa Hupp bei „Meat Market“ jetzt Philipp Dreber, der aus der Kunst kommt und eigentlich Skulpturen schafft. Das war der Link zum Mythos, den es ja eigentlich nur noch als Kunstwerk gibt.

„Mitos Minotauros“ | Konzept/Performance: Tripletrips | 15.(P), 16.-19.9. 20 Uhr | Studiobühne Köln | 0221 470 45 13

Interview: Hans-Christoph Zimmermann

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