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Hinter Scheiben

08. Juli 2020

Glas und Farbe im Clemens Sels Museum in Neuss – kunst & gut 07/20

Glas hat in der bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts zunehmend an Bedeutung gewonnen. In der Skulptur erweiterte es das Spektrum der Ausdrucksmöglichkeiten rasant, bis hin zu zersplittertem oder zermahlenem Glas und Glasblöcken, die sich in Gestellen oder im Dialog mit Eisen oder Stein in der Balance halten – einen Überblick darüber lieferte etwa 2008 die Ausstellung „Zerbrechliche Schönheit“ im Museum Kunstpalast im Düsseldorfer Ehrenhof.

Die aktuelle Ausstellung „Vorsicht Glas!“ im Neusser Clemens Sels Museum hingegen wendet sich einem Teilaspekt zu. Das Glas wird hier als durchsichtige Scheibe vorgestellt, die gefärbt ist oder auf deren Rückseite Farbe aufgetragen ist. Glas ist mit seiner Transparenz und Leuchtkraft der Träger von Farbe. Dazu sind auch bemalte transparente Scheiben mit Abstand geschichtet und treten in Beziehung zueinander. Jedenfalls greift der Untertitel der Ausstellung „Hinterglasmalerei von August Macke bis heute“ zu kurz, und er greift mutig zu weit, weil er einen Überblick suggeriert, um den es hier gar nicht geht. Vielmehr konzentriert sich das Museum klugerweise auf einige wenige künstlerische Positionen, die dafür ausführlich und sozusagen in Einzelausstellungen vorgestellt werden. Die „Hauptkünstler“ sind Michael Jäger, Camill Leberer, Werner Schriefers und Gaby Terhuven, dazu kommt im Treppenhaus Paul Schwer.

Chronologisch setzt „Vorsicht Glas!“ mit Hinterglasmalereien der Künstler im Umfeld des Blauen Reiter und des Rheinischen Expressionismus ein. Die Ausstellung zeigt kleine Werke von Gabriele Münter oder Paul Klee und stellt mit jeweils mehreren Bildern Heinrich Campendonck und Johann Thorn Prikker vor. Auch über die Gemälde dieser beiden „Altmeister“ der Hinterglasmalerei hinaus sensibilisiert die Ausstellung für das, was im Clemens Sels Museum auf Dauer, aber ansonsten eher unbeachtet, zu sehen ist. Das betrifft das vierteilige Ornamentfenster (um 1923) von Thorn Prikker, das sich seit 2016 als Schenkung hier befindet. Und in eine Wand des Museums ist eine Front mit Glasfenstern aus dem sakralen Bereich (von Gerhard Kadow, Theuwen und erneut Thorn Prikker) eingefügt, die die Rolle dieses Mediums in der kirchlichen Architektur benennen: die Vermittlung von Innen und Außen, Diesseits und Jenseits.

Aber das eigentliche Erlebnis dieser Ausstellung ist doch, wie die zeitgenössischen „Gastkünstler“ auf die Sammlungsschwerpunkte des Museums reagieren und in diese integriert sind, ja, diese zu Leben erwecken. Das gilt besonders für Leberers „Kabinett der Blicke“ (2020) aus leeren Vitrinen, in denen Scheiben lehnen und poetische Textblätter liegen. Gaby Terhuvens Arbeit „G12/19“ (2019) greift feinsinnig die Zweiteilung des benachbarten Gemäldes des „Marientodes“ des Westfälischen Meisters aus dem 15. Jahrhundert auf: Mit ihren geschichteten, bemalten Rundformen in subtil pastellfarbenen Tönen bringt „G12/19“ ein Sich-Schließen und das Sehen des Auges und damit noch die Auferstehung zur Anschaulichkeit. Vielleicht so: Die Ausstellung stärkt die Sammlung und die Sammlung die Ausstellung.

Vorsicht Glas! | bis 30.8. | Clemens Sels Museum Neuss | 02131 90 41 41

Thomas Hirsch

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