Der Symbolismus als europäische Stilphase ist zu datieren auf 1880-1910. Als Zeitphänomen fand er besonders anschaulich in die Literatur und die bildende Kunst Eingang. Er handelt mit Unterbewusstem, dem Traumhaften und der halluzinatorischen Vision, zieht Tierwesen und die antike Mythologie hinzu, und seine Szenarien ereignen sich häufig bei Nacht. Die starken Bilder und Metaphern verbleiben oft im Irrationalen, sie wirken aufreizend und sinnlich. Das Clemens Sels Museum besitzt etliche Bilder und Skulpturen aus dieser Epoche und zeigt sie permanent in einer konzentrierten Auswahl. Unterstützt wird dieser Sammlungsschwerpunkt jetzt durch eine hochkarätige Wechselausstellung. Thematisiert ist das Fortleben des Symbolismus in der Gegenwart, etwa mittels der Wahl der Motive und im Umgang mit diesen. Dazu werden, eingeleitet durch einzelne Werke im Erdgeschoss, auf der oberen Ebene vier Künstler in verschiedenen Medien vorgestellt. Besonders präsent ist der Düsseldorfer Maler Christoph Worringer, ein figurativer Realist auf höchstem Niveau, der in seinen Malereien und Zeichnungsserien die immer gleiche männliche Gestalt in unterschiedlichen Handlungen zeigt, wobei subtil die Realität entgleitet. Das lässt sich auch bei einem Teil der Filme von Bjørn Melhus feststellen. Ohnehin kennzeichnet sie meist etwas Außergewöhnliches, ja, Verschrobenes, das aber einer inneren Logik folgt. In Neuss sind nun mehrere Filme dieses wichtigen Videokünstlers unprätentiös auf einem Monitor zu sehen. Sein Hauptwerk „No Sunshine“ hingegen wird hinter einem roten Vorhang inszeniert, der seinerseits mit einem Gemälde von Christoph Worringer korrespondiert.
Peter Doig, der schon beim Eintreten ins Museum mit einem frühen unbetitelten, überaus träumerischen, die Schwerkraft aushebelnden Gemälde prägnant in Erscheinung tritt, ist im Wechselausstellungsbereich mit kleinformatigen Farbradierungen beteiligt, die mit ihrer weichen Unschärfe Figurationen in eine ortlose, leere Weite entrücken. Der Begriff des Symbolismus als künstlerische Haltung ist auch hier ausgesprochen großzügig, aber nicht beliebig verstanden. Das gilt auch für die ausgewählten Beiträge von Thomas Schütte, der mit seinem vom Architekturmodell und der Figur ausgehenden Gesamtwerk zu den bedeutendsten Bildhauern der Gegenwart gehört. Seine – weniger bekannten – „Zombies“ lassen an die Chimären des Fin de Siècle denken. Und seine zwei frühen „United Enemies“ sind die wahrscheinlich eindrucksvollsten Werke der ganzen Ausstellung. Sie zelebrieren vor allem theatralische Dialoge in prachtvollen Gewändern, festgehalten unter einem Glassturz. Sie stehen für emotionale Abgründe und narrative Geschehnisse, überliefert aus anderen Kulturkreisen, die nun wie unter Laborbedingungen gezeigt werden. Zauberhaft!
„Geliebte Feinde – Symbolismus heute“ | bis 19.2. | Clemes Sels Museum Neuss | 02131 90 41 41
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