Luise Bauder will dem gewaltgeprägten Alltag in ihrer Familie entfliehen. Sie sehnt sich nach Selbstverwirklichung und Liebe. Als sie mit einem Matrosen in Holland ein neues Leben aufbauen will, wird sie von der Polizei abgefangen und verhaftet. Ein anonymer Brief hatte die junge Frau denunziert. Bauder wird schließlich in polizeiliche Vorbeugehaft genommen. In ihrer Begründung vom 6. November 1941 formuliert die staatliche Kriminalpolizei: „Die Bauder ist eine asoziale und arbeitsscheue Person ...“ Später erfolgt die Überführung ins KZ Ravensbrück. Bauder überlebt den Terror der Nazis, bleibt aber stigmatisiert und stirbt ohne Rehabilitation 1985. Sibilla Rombach (1922-1945) wurde gar von der eigenen Mutter angezeigt. Diese sorgte sich um die „Freizügigkeit“ der Tochter. Deren Vergehen bestand darin, regelmäßig auszugehen und andere Menschen kennenzulernen. Auch sie wollte, wie Bauder, aus einer kleinbürgerlichen, spießigen Welt ausbrechen. 1943 erfolgte die Festnahme aufgrund des „Verdachtes auf Prostitution“. Zum Entsetzen ihrer Mutter wurde Rombach ebenfalls ins Konzentrationslager gebracht. Die brutalen Haftmethoden der Bewacher in Bergen-Belsen forderten 1945 ihr Leben.
In der Wanderausstellung „Die Verleugneten. Opfer des Nationalsozialismus 1933-1945-heute“ informiert das NS-Dokumentationszentrum über Schicksale von Menschen, die vom Regime verfolgt und für „Vergehen“ wie „Asozialität“, „Liederlicher Lebenswandel“, „Moralischer Schwachsinn“, „Landstreicherei“ oder „Bettelei“ bestraft wurden. Die Kurzbiografien von Bauder, Rombach, der Künstlerin und Transfrau Liddy Baccroff (1908-1943) und vielen weiteren Menschen werden zu einem Mahnmal gegen Unmenschlichkeit. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wird ein Großteil der Täter:innen in der BRD strafrechtlich nicht belangt. Entschädigungen an die Opfer werden in den späten 1980ern durch fehlende Nachweise erschwert. Der Deutsche Bundestag entschied erst im Jahr 2020: „Niemand saß zu Recht in einem Konzentrationslager.“ Im Nachbarland Österreich besteht seit 2005 die Möglichkeit, Zahlungen für „Asozial-Verfolgte“ zu beantragen. Die Ausstellung wird ergänzt durch Bücher, etwa „Auf der Spur der Stolpersteine – Elf Wege der Erinnerung durch Köln“ von Petra Pluwatsch (Metropol Verlag 2023). Als Begleitveranstaltung findet am 7. Dezember eine Exkursion statt: „Das NS-Projekt ,Altstadtgesundung‘, Stadtplanung zwischen NS-Verfolgung, Kriegszerstörung und Wiederaufbau“. Am 11. Dezember folgt die Podiumsdiskussion „Bewegte Blickwinkel auf Familiengeschichte(n) – Angehörige ausgegrenzter und verfolgter Menschen im Nationalsozialismus sprechen“.
Die Verleugneten. Opfer des Nationalsozialismus 1933-1945-heute | bis 4.1.26 | NS-Dokumentationszentrum, Köln | www.nsdok.de
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