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Autobiografischer Tango-Abend mit Nicole Nau und Luis Pereyra

Liebe und Tanz

25. August 2016

Premiere „Tanze Tango mit dem Leben“ im Senftöpfchen – Bühne 09/16

Er, geboren 1965, kommt aus der Provinz Santiago del Estero im nördlichen Argentinien, kommt aus ärmlichen Verhältnissen vom Land; sie, geboren 1963, wuchs in Düsseldorf bei einer alkoholsüchtigen Mutter auf und arbeitete als Grafikerin in Werbeagenturen. Er fängt schon mit drei Jahren an, sich für das Tanzen zu begeistern, sie lernt den Tango erst bei einer Argentinienreise richtig kennen, ist schwer beeindruckt und beginnt eine Tanzausbildung vor Ort – wo sie die Tanzpartner um einen Kopf überragt. Dann, über eine Dekade später, lernen sie sich kennen, verlieben sich, lassen ihre von Hindernissen und Prüfungen geprägten Lebenswege hinter sich, beschreiten eine gemeinsame Karriere.


Nicole Nau trägt Passagen aus ihrem Buch vor

Seit ihren ersten Auftritten im Café Homero in Buenos Aires im Jahre 1990 hat Nicole Nau es mit dem Tango weit gebracht, tritt seit 1993 regelmäßig auf Festivals in Argentinien auf, wo sie mit Luis Pereyra lebt. Dieser ist ein Rundumtalent als Tänzer und Choreograf und hat auch eine Musikausbildung genossen. Auch am Broadway fand er Anerkennung, unter anderem mit dem Musical „Tango Argentino“. Als sein Ziel gilt es, die Tänze Argentiniens auf der Bühne zu vereinen: Tango, Chacarera, Milonga und viele mehr. Er stellte 1996 das Tanzensemble „El Sonido de mi Tierra – The Great Dance of Argentina“ zusammen, dessen Tourneen sich Nau fünf Jahre später anschloss. Anfang 2017 startet in Deutschland das Tour-Programm „Vida II“ (3.3. am Tanzbrunnen, 22./23.3. am Pantheon Bonn).

Der aktuelle Tango-Abend, der nach Naus autobiografischem Roman „Tanze Tango mit dem Leben“ benannt ist – mehr autobiografisch als fiktiv, wie sich zeigt –, startete nun im Senftöpfen. So wie der Mann beim Tango führt – und die Frau „folgt“ nicht, sagt Nau, sie „lässt sich führen“ –, so übernahm sie hier eine (auch sprachlich bedingte) Führungsrolle, die manchmal etwas von einer Moderation hatte, aber auch von ihren Tango-Workshops geprägt ist. Man merkt schnell: Sie will und kann vermitteln, sie möchte die Welt des Tangos den Laien und Tanzinteressierten eröffnen und nahebringen. Erläuterungen hielten sich dabei die Waage mit persönlichen Passagen aus ihrem Buch; immer wieder wurde vorgeführt und musiziert (ganz toll: Mathias Rubino am Bandoneón, Dario Barossi an der Gitarre, Pereyra oft am Bombo oder ebenfalls an der Gitarre oder als Sänger), oft wurde dazu getanzt, auch Pereyras argentinischer Stepptanz kam zum Zuge.


Interludium: Luis Pereyra (l.) gesellt sich zu den Musikern

Natürlich ist dies kein durchinszenierter Theaterabend, es ist ein halbformelles Fenster in die Welt des Tangos, eine kommunikativere Ergänzung zum großen „Great Dance“-Hauptprogramm und auch eine Möglichkeit, diesen seit über hundert Jahren populären und im Schwierigkeitsgrad scheinbar beliebig verschärfbaren Tanz aus nächster Nähe zu sehen, beim ersten Mal allerdings mit kleinen Fehlern in der Balance: Es wurde zu viel getrommelt, der Tanz schien auch gegenüber der bloßen Musik streckenweise zu kurz zu kommen; manchmal gerieten tanzpädagogische Aspekte für ein Normalpublikum etwas zu sehr in den Vordergrund gegenüber der ersehnten Leidenschaft. Wo Nau, die im Übrigen ihre Doppelaufgabe samt häufigem Umziehen gut meisterte, einige Liedtexte übersetzte, konnte sich ihre Stimme gegen die ebenfalls verstärkte Musik im Senftöpchen leider oft nicht durchsetzen – und sicher werden die zwei auf ihrer Tour um jeden Zentimeter nutzbarer Tanzfläche auf den Kleinkunstbühnen kämpfen müssen.

Beeindruckend waren neben den immer willkommenen Tanzeinlagen die von Pereyra hervorgeholten Bolas, die ihm in einer überraschenden Choreografie als Rhythmusinstrumente dienten: Man sah dieses Solo-Finale nicht kommen, bevor Zugaben getanzt wurden. (Sogar Zamba war im Angebot, aber irgendjemand war schneller, „Tango“ zu rufen.) Ein stimmungsvoller, viel vermittelnder und auch amüsanter Abend also für alle, die sich mit Tanz und Tango oder auch generell mit argentinischer Kultur und Tradition beschäftigen möchten. Noch an diesem Wochenende in Köln. Nicht versäumen, einen Zamba zu wünschen!

„Tanze Tango mit dem Leben“
Köln: Sa 27.8. 20.15 Uhr, So 28.8. 19 Uhr | Senftöpfchen Theater | 0221 258 10 58
Bonn: Mi 31.8. 19 Uhr | Literaturcafè, Friederich-Ebert-Gymnasium | 0228 777 520
Leverkusen: Fr 9.9. 20 Uhr | Scala | 0271 76 79 59

Text/Fotos: Jan Schliecker

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