„Die machen teilweise sehr gute Arbeit in die Stadtgesellschaft“, also ins Ganze von Wuppertal hinein, hieß es über das Autonome Zentrum (AZ) neulich von offizieller Seite: Oberbürgermeister Uwe Schneidewind sprach bei seiner Halbzeitbilanz in der Volkshochschule dem AZ seine Anerkennung aus. Damit war er nicht allein: Ein Bürgerbegehren gegen den Abriss des AZ (den der OB wiederum unterstützt) unterschrieben laut dem Bündnis Gathe für alle über 10.000 Menschen.
„An der Gathe“, streng genommen: In der angrenzenden Markomannenstraße findet der linke Treff sich seit Anfang der 2000er Jahre, nachdem die Stadt zuvor einige Adressen zur Verfügung gestellt hatte. Die eigentliche Gründung datieren seine Freunde schon im Jahr 1973 – damals gab es vielerorts alternative Initiativen, genannt etwa „Jugendkulturzentren“ oder „Autonome Zentren“.
Gelebte Kapitalismuskritik
Autonom heißt „nach eigenen Gesetzen“ oder „selbstverwaltet“. An der Gathe bedeutet das: Man will möglichst hierarchiefrei leben und trifft wichtige Entscheidungen nach kollektiver Absprache. „Linke Träume, Ideen, Konzepte und Strukturen“, formuliert es der AZ-Freund „Mosche“, „erhalten hier ein festes Dach über dem Kopf“. Dazu gehört, dass die Getränkepreise unprofitabel niedrig sind.
Doch das „Eigene“ beschränkt sich nicht auf Basisdemokratie und günstige Limonade. Man definiert sich auch übers Kontra: Das AZ ist Garant für Widerständigkeit, Hort gelebter Kapitalismuskritik, nicht weit von der als konsumfixiert zumindest lesbaren City. Ein Stachel im Fleisch, mitten in Elberfeld. Es bietet inhaltliche Substanz, sowohl mit lokalem als auch globalem Blick: Vorträge behandelten den Anarchismus auf den Philippinen, Aktionen vor Ort ermunterten ganz praktisch zum Sperrmüllklau – „Die Stadt Wuppertal besitzt die Frechheit, den Sperrmüll ganz für sich alleine zu wollen“. Es gibt Veranstaltungen, die sich mit Polizeigewalt befassen.
Ungewohnte Opposition
Zum drohenden Abriss des AZ: Nach städtischem Plan soll an der Gathe eine DITIB-Moschee entstehen, wofür das Autonome Zentrum weichen müsste. Sich gegen ein muslimisches Projekt zu stellen, ist für hiesige Linke eine ungewohnte Erfahrung. Den Hintergrund fasste der Erzieher und Blogger Kurt Schmalle in der Zeitschrift Agathe! zum Bürgerbegehren zusammen: „Die islamische Rechte, für die DITIB beispielhaft in der BRD steht, expandiert mit freundlicher Unterstützung bürgerlicher Parteien, am Ende des Tages zum Nachteil linker Strukturen.“ – Selbstverständlich argumentiert man im AZ auch ökonomisch: Die Stadt wolle eine rücksichtslose „Aufwertung“ der Gathe: Verdrängt würden neben dem AZ „auch alle anderen, die nicht finanzstark genug sind, sich steigende Mieten leisten zu können”.
Sorge vor möglicher Eskalation
„Autonome“, das Wort kann gefährlich klingen. Vermummte Gestalten verbinden sich damit in vielen Köpfen. Auch im Wuppertaler AZ lässt man sich ungern ohne Maske fotografieren. Doch mit einer reinen Bürgerschreck-Pose erklärt sich das kaum: Keine Frage, das AZ hat Feinde und steht unter Beobachtung.
OB Schneidewinds kommentierte in der VHS auch: „Ich hoffe, dass das nicht in einer unglücklichen Weise eskaliert und das AZ dann womöglich jegliche Akzeptanz in der Stadtgesellschaft verliert.“ So ist das wohl mit Rebellen, Stadt und Stadtgesellschaft: Es bleibt ein Kampf.
GRENZVERLETZUNG - Aktiv im Thema
deutschlandfunkkultur.de/verrohte-gespraechskultur-der-wille-zum-missverstaendnis-100.html | Der Philosoph Arnd Pollmann pointiert, wie „gezieltes Falschverstehen“ öffentliche Debatten skandalisiert, um die eigene Deutungshoheit durchzusetzen.
kompetenznetzwerk-hass-im-netz.de | Gegen Hassrede und Gewalt im Internet haben sich vier Organisationen zusammengeschlossen: Das Nettz, Hate Aid, Jugendschutz.net und Neue deutsche Medienmacher*innen.
woche-der-meinungsfreiheit.de | Die vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels initiierte Aktion macht „auf die Bedeutung der Meinungsfreiheit für eine freie, demokratische und vielfältige Gesellschaft aufmerksam“.
Fragen der Zeit: Wie wollen wir leben?
Schreiben Sie uns unter meinung@choices.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Erst die Tat, dann der Glaube
Intro – Grenzverletzung
Gefährliche Kanzel-Culture
Für mehr Streit und weniger Feindbilder – Teil 1: Leitartikel
„Mich besorgt die Feigheit der Mitte“
Journalist Ijoma Mangold über Cancel Culture und Diskursgrenzen – Teil 1: Interview
Hass gegen die Presse
Journalistin Corinna Blümel (KJV) über Empörungskultur – Teil 1: Lokale Initiativen
Wo europäische Werte enden
Menschen aus dem globalen Süden dürfen nicht einfach so in die EU – Teil 2: Leitartikel
„Besser keine Reform als eine menschenrechtswidrige“
Asylrechtsexpertin Sophie Scheytt von Amnesty International über die EU-Asylreform – Teil 2: Interview
Hilfspakete an Europas Außengrenzen
Die Dortmunder Flüchtlingsinitiative Grenzenlose Wärme – Teil 2: Lokale Initiativen
Auf dem rechten Auge blind
Verfolgungseifer von Behörden, Politik und Presse gegen Linke – Teil 3: Leitartikel
„Auf den Verfassungsschutz zu setzen, reicht nicht aus“
Sozialpsychologe Andreas Zick über Gefahren durch politischen Extremismus – Teil 3: Interview
Für Kunstfreiheit und Menschenrechte
Safemuse gibt verfolgten Künstler:innen sichere Zufluchtsorte – Europa-Vorbild: Norwegen
Die Große Freiheit
Menschen und die Grenzen des Wahnsinns – Glosse
Wissen über KI fördern
Teil 1: Lokale Initiativen – Die Kölner Wissenschaftsrunde
Dein Freund, das Handy
Teil 2: Lokale Initiativen – Forschung zur Smartphone-Nutzung in Beziehungen an der Universität Witten/Herdecke
Wer bin ich?
Teil 3: Lokale Initiativen – Johannes Wilbert begleitet Menschen bei ihrer Suche nach dem passenden Beruf
Vor Ort Großes bewirken
Der Verein Köln Agenda und die Zivilgesellschaft – Teil 1: Lokale Initiativen
Forschung von unten
Die Arbeitsgruppe Region West der Plattform Bürger schaffen Wissen – Teil 2: Lokale Initiativen
Hinschauen und handeln
Die Wuppertaler Intitiative engagiert sich gegen Rechtsextremismus und Frauenfeindlichkeit – Teil 3: Lokale Initiativen
Geld macht Politik
Das Finanzwissenschaftliche Forschungsinstitut der Universität zu Köln (FiFo) – Teil 1: Lokale Initiativen
Gedämpfte Mieten, keine Aktionäre
Der Gemeinnützige Wohnungsverein zu Bochum (GWV) – Teil 2: Lokale Initiativen
Menschen bleiben arm
Forschung über Armut und Armutshilfe an der Uni Wuppertal – Teil 3: Lokale Initiativen
Wieder selbstbestimmt leben
Kölns interkulturelles Zentrum Zurück in die Zukunft e.V. – Teil 1: Lokale Initiativen
Protest und Marketing
Florian Deckers erforscht Graffiti im öffentlichen Raum – Teil 2: Lokale Initiativen
Das Tal wird digital
Wuppertal unterwegs zur Smart City – Teil 3: Lokale Initiativen