Ein Leben ohne Grenzen wäre nicht möglich. Aber: Jede Grenze ist das Produkt einer Konstruktion, die immer neu hinterfragt werden muss. „Eat the borders“ lautet deshalb auch das Motto des diesjährigen Sommerblut-Festivals. „Wir fragen, welche Grenzen sind wichtig und welche kann und muss man überschreiten“, sagt Anna-Mareen Henke, die Künstlerische Leiterin. Und: Grenzüberschreitung beinhalte zugleich immer auch die Erweiterung gängiger Sehgewohnheiten. Das gilt übrigens auch für die queere Community selbst. Festivalleiter Rolf Emmerich, der noch die „We-are-family“-Zeiten kennt, verweist auf die Produktion „Queere Revolution“: „Die beiden Regisseure versuchen, all die inzwischen ausdifferenzierten Gruppen wie Trans, Bi, Hetero, Alte, Junge, die im Rollstuhl, die Queergehandicapten usw., die alle in ihren Blasen leben, wieder miteinander ins Gespräch zu bringen“. Jede Form von Gemeinsamkeit setzt allerdings eine gemeinsame Sprache voraus. Dies erproben die Kölner Performance-Gruppe Trafique und die Bonner Redaktion von Ohrenkuss, dem Magazin von Menschen mit Down-Syndrom. Ein Versuch des Brückenbauens, dem zugleich, so Anna-Mareen Henke, die tiefe Sehnsucht nach dem Kollektiv innewohnt.
Am offensichtlichsten verlaufen die Grenzen bis heute bei den Körpernormen. Die Produktion „Sulle Sponde del Lago – Am Ufer des Sees“ bringt den Ballettklassiker „Schwanensee“ auf die Bühne, dessen Rollen mit Tänzer:innen unterschiedlichster Körperlichkeit besetzt sind. Das korrigiert nicht nur die Körpernormen des Balletts: „Wenn Menschen mit Behinderung auf der Bühne agieren, stehen sie dann nur für diese Behinderung, also losgelöst von der Rolle?“, fragt Anna-Mareen Henke.
Gerade diese Produktion, die weit größer geplant war, macht aber auch die Sorgen der Sommerblutmacher:innen deutlich: „Es gibt eine Welle an Förder-Absagen, die ihre Gründe in überzeichneten Antragsvolumen, überforderten Geldgebern und gleichbleibenden oder sogar gekürzten Fördersummen haben“, so Rolf Emmerich. Im Vergleich zu 2022 machen Kürzungen nahezu ein Viertel des Etats aus. Man merkt Rolf Emmerich an, wie sehr ihn dies trifft: „Wir binden mit unseren Projekten die unterschiedlichsten Menschen ein und halten damit diese Gesellschaft letztlich zusammen – dafür kämpfen wir“.
Sommerblut Kulturfestival 2024 | 4. - 20.5. | div. Orte in Köln | sommerblut.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Gezielt helfen
Ingrid Hilmes von der Kölner Kämpgen-Stiftung – Spezial 05/24
Für mehr Sichtbarkeit
„Alias“ am Orangerie Theater – Prolog 05/23
Angst als kreativer Faktor
Das Sommerblut Kulturfestival 2023 beschäftigt sich mit Angst – Premiere 05/23
Radikale Empathie
Sommerblut-Kulturfestival – Festival 05/22
Verwundet in die Welt
„Knock Out“ in der JVA Köln-Ossendorf – Bühne 12/21
„Wenn ihr unsere Welt mitkriegen wollt, dann macht mit!“
Mad Pride am Pfingstmontag als Auto- und Fahrrad-Demo – Interview 05/21
Kultur und Natur
Digitales Sommerblut-Festival ab 7. Mai – Festival 05/21
Alle inklusive
Festival „All In“ von Un-Label in der Alten Feuerwache – Festival 10/20
„Teilhabe von Anfang an“
Initiative X-SÜD will ein inklusives Kunsthaus Kalk – Interview 10/20
Nähe und Abstand
Ausblicke für Ältere und eingeschlossene Jüngere bei Sommerblut 2020 – Festival 05/20
Die Zukunft ist jetzt
Inklusion digital beim Sommerblut Festival – Bühne 05/20
Buntes Überleben
„Youtopia – Eine ÜberLebensPerformance“ bei Sommerblut – Festival 06/19
„Draußen geht viel mehr als man denkt“
Schauspielerin Irene Schwarz über „Peer Gynt“ beim NN Theater Freiluftfestival – Premiere 08/24
Feder statt Abrissbirne
„Fem:me“ in der Alten Feuerwache – Theater am Rhein 07/24
Der Untergang
„Liquid“ von Wehr51 – Theater am Rhein 07/24
Zum Schweigen gezwungen
Heinrich Bölls „Frauen vor Flusslandschaft“ in Bonn – Auftritt 07/24
Gefährlicher Nonsens
Kabarettist Uli Masuth mit „Lügen und andere Wahrheiten“ in Köln – Theater am Rhein 07/24
Den Schmerz besiegen
„Treibgut des Erinnerns“ in Bonn – Theater am Rhein 07/24
Alles über Füchse
„Foxx“ in den Ehrenfeldstudios – Theater am Rhein 07/24
„Familie ist immer ein Thema“
Regisseur Rafael Sanchez und Dramaturgin Sibylle Dudek über die Spielzeit 2024/25 am Schauspiel Köln – Premiere 07/24
Kleider machen Räume
„Dressing the City und mein Kopf ist ein Hemd #02“ von Angie Hiesl + Roland Kaiser in Köln – Theater am Rhein 06/24
Freiheit und Gewalt
„Pain Club“ vom TT-Theater im Studio Trafique – Prolog 06/24
Vergessene Frauen
„Heureka!“ am Casamax Theater – Theater am Rhein 06/24
Freiheitskampf
„Edelweißpiraten“ in der TF – Theater am Rhein 06/24
Zum Rasen verdammt
„Ein von Schatten begrenzter Raum“ am Schauspiel Köln – Auftritt 06/24