Einen so gut gefüllten großen Kinosaal hatte man schon lange nicht mehr gesehen. Zur Eröffnung des Film Festival Cologne war der große Saal 1 des Filmpalast am Ring „ausverkauft“. Ausverkauft wie immer in diesen Tagen in Anführungszeichen, da natürlich trotz freierer gesetzlicher Bestimmungen wie in allen anderen Kölner Kinos die Abstandsregel eingehalten wurde. Und dennoch: die Anmutung eines großen Kinoereignisses stellte sich ein. Zwar war der Auftakt des Festivals sicher anders geplant, in diesem Jahr – die lange Zeit unter dem vorherigen Namen Cologne Conference mitgerechnet – feiert man schließlich das 30-jährige Jubiläumsjahr (ein Wochenlanges Jubiläumsprogramm bot vorab den passenden Auftakt hierzu). Doch trotz aller Einschränkungen durch die aktuellen Hygienebestimmungen, die sehr genau eingehalten wurden, kam Festivalstimmung auf.
Nach den Eröffnungsreden von Festivalleiterin Martin Richter und der alten wie neuen Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker, die verkündete, dass sie die Sorgen der Film- und Kinobranche ernst nehme, entführte der Eröffnungsfilm „Proxima“ von der französischen Regisseurin Alice Winocour (Drehbuch u.a. für den Oscar-nominierten Film „Mustang“) die Zuschauer in die ganz andere Lebenswirklichkeit einer junge Astronautin. Die alleinerziehende Sarah – intensiv verkörpert von Eva Green („Casino Royale“, „Nach einer wahren Geschichte“) – erhält die Möglichkeit, als Astronautin der europäische Part einer internationalen Weltraumcrew mit einem amerikanischen (Matt Dillon) und einem russischen Kollegen (Aleksey Fateev) zu werden. Das ist eine einmalige Gelegenheit für sie. Und auch der Vater ihrer Tochter Stella (Zélie Boulant), der Astrophysiker Thomas (Lars Eidinger), zieht mit, indem er sich bereit erklärt, sich in ihrer langen Abwesenheit um Stella zu kümmern. Denn vor den mehrmonatigen Aufenthalt im All muss Sarah noch ein hartes Training im Raumfahrtzentrum in Russland und eine Quarantäne in der kasachischen Steppe absolvieren. Dabei merkt sie zunehmend, wie sie nicht nur die körperliche Belastung an ihre Grenzen bringen, sondern auch die Trennung von ihrer Tochter.
„Proxima“ ist ein Weltraumfilm, der auf der Erde bleibt. Oder mit anderen Worten: Auf dem Boden der Tatsachen. Winocour hat keinen Actionfilm realisiert, sondern einen sehr realistischen, über weite Strecken fast dokumentarisch anmutenden Einblick in die Arbeitswelt von Astronauten, und zugleich einen vollkommen geerdeten Blick auf die Mehrbelastung einer Mutter. Die sind in diesem Fall sehr speziell, aber sicherlich generell auf die Arbeitswelt und die Problematik, Kind und Karriere unter einen Hut zu bringen, übertragbar. Im Abspann des Films werden zahlreiche, allgemein eher unbekannte, Astronautinnen geehrt.
Nicht nur qualitativ war „Proxima“ ein gelungener Festivalauftakt. Da die internationale Produktion nicht nur Drehorte in Frankreich, Kasachstan und Russland hatte, sondern auch in Köln gedreht und co-produziert wurde, passt er perfekt an diese Prominente Stelle des Kölner Festivals mit internationaler Strahlkraft. Über die technischen und wissenschaftlichen Hintergründe des Films informierten im Anschluss an die Vorführung neben der Kölner Produzentin Nina Frese von Pandora zwei Mitarbeiter des Europäischen Astronautencorps (ESA) des Europäischen Raumfahrtzentrums in Köln, wo der Film zum Teil an Originalschauplätzen gedreht wurde. In den Raumfahrtzentren in Russland und Kasachstan wurde sogar das erste Mal überhaupt gefilmt. Da wegen der Pandemie Crew und Cast (u.a. mit Sandra Hüller in einer Nebenrolle) nicht anwesend sein konnten und deswegen von Seiten der Filmemacherin nur eine Videobotschaft und ein vorab aufgezeichnetes Q&A im Saal gezeigt wurden, waren die Gäste eine gelungene Alternative.
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