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Eurozentrismus ade?

21. März 2016

Akademie der Künste der Welt eröffnet vierte Pluriversale im Academyspace – Kunst 03/16

Der Verweis auf die Kölner Silvesternacht sorgt mittlerweile bei manchen Kölnern für eine instinktive Abwehrhaltung. Das mag an der Instrumentalisierung liegen oder an der oft zu undifferenzierten Berichterstattung der ersten Wochen des Jahres. Auch die Reden zur Eröffnung der vierten Ausgabe des Pluriversale-Festivals kommen ohne die Erwähnung der Ereignisse am Kölner Hauptbahnhof nicht aus. Hier allerdings scheint dafür ein passender Rahmen zu bestehen. Der Veranstalter der Pluriversale, die „Akademie der Künste der Welt“, wurde vor vier Jahren von der Stadt Köln gegründet. Seitdem ist ein großes Netzwerk entstanden aus Künstlern und Kulturschaffenden aus der ganzen Welt. Das Thema Interkulturalität wird hier nicht aus aktuellem Anlass behandelt, es ist quasi von Beginn an ein Teil der Organisation selbst. Es soll dabei, so ist zu lesen, auf die Vermeidung der „Romantik des Multikulturalismus, der Globalisierung und der Identitätspolitik“ geachtet werden. Stattdessen sollen die Bedingungen des globalen Finanzmarkts und neoliberaler Kräfte infrage gestellt werden. Die nun in der neuen Ausgabe der Pluriversale in den Blick genommene Kolonialzeit bietet die Möglichkeit, dabei einen größeren zeitlichen Bogen zu schlagen.

Ekaterina Degot, die künstlerische Leiterin der Pluriversale, Foto: Mario Müller

Beispielhaft ist dies in der Ausstellung „Afrikahafenfest“ zu erkennen, die an diesem Abend eröffnet wird. Die Kölner Künstler Peter Güllenstern und Jürgen Stollhans haben dazu in den letzten 10 Jahren Material gesammelt, das den Mülheimer Hafen in seiner wechselhaften Geschichte darstellt. Von der Völkerschau der Werkbund-Ausstellung bis zu aktuellen Konzepten der Stadtentwicklung wird hier Material genutzt, das über mehrere Flächen in Form eines Collage-Films an die Wände projiziert wird. Was Schokolade mit Afri-Cola und dem von Stadtplaner Albert Speer jr. entwickelten sogenannten „Masterplan für die Kölner Innenstadt“ zu tun hat, kann der Besucher hier selbst herausfinden. Von zahlreichen detaillierten Verweisen zwischen den Materialien schwärmt auch die künstlerische Leiterin des Festivals, Ekaterina Degot. Um diese zu ergründen, werden viele der Besucher vermutlich nochmals erscheinen, denn die Eröffnung ist so gut besucht, dass an diesem Abend die Ruhe zur Auseinandersetzung fehlt.

Das Programm der Pluriversale bietet dagegen in den kommenden drei Monaten weitere Möglichkeiten zur inhaltlichen Vertiefung des Themas. Einige Filmvorführungen beschäftigen sich mit aktuellen und historischen Fragestellungen zum afrikanischen Kontinent. So sind Filme der in Kairo lebenden Künstlerin Maha Maamoun zu sehen. Sie ist aktuell Fellow der Akademie. Das Fellowship-Programm bietet Künstlern durch Stipendien einen Aufenthalt in Köln an, wo eine Verknüpfung mit dem lokalen Netzwerk stattfinden soll.

Eine große Zahl an Gesprächen und Diskussionen fallen im Programm der vierten Pluriversale auf. Fragen nach Toleranz oder wie die Willkommenskultur nach kolonialen Gesichtspunkten zu bewerten ist, sollen offen diskutiert werden. Ein Symposium zu sexueller Gewalt und Rassismus sowie ein Vortrag des Philosophen Srećko Horvat zur weiteren Entwicklung der EU beziehen sich auch direkt auf die Ereignisse in Köln. Die Silvesternacht hat Zustände in die Mitte unserer Gesellschaft getragen, denen Frauen an vielen Orten der Welt ausgesetzt sind, wie Ekaterina Degot in ihrer Rede hervorhebt. Das Programm der vierten Pluriversale ist vor diesem Hintergrund vielleicht so aktuell wie nie. Und sie bietet die wichtige Möglichkeit, die Situation aus einer weiteren Perspektive als nur der europäischen (oder westlichen) zu diskutieren.

Diskussion: Was ist eigentlich Toleranz? | 31.3. 19 Uhr
Symposium: Nordafrikanische Männer, deutsche Frauen | 23./24.4.
Gespräch: Wie kolonial ist die Willkommenskultur? | 3.5. 19 Uhr
Vortrag Srećko Horvat: Von Aylan Kurdi bis Köln: Wohin entwickelt sich die EU? | 12.5. 19 Uhr
Filme Maha Maamouns | 7.6. 19 Uhr, 8.6. 20 Uhr (Filmforum)

Pluriversale IV / Ausstellung "Afrikahafenfest" | bis 24.6. | academyspace, Herwarthstraße 3 | Führungen: 10.4./22.5. 16 Uhr

Mario Müller

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orda, 23.03.2016

Wirklich schade!

„Wirklich schade!“, steht auf einem der Bilder, die in der Ausstellung , du kannst mit einer Ausstellungskritik aus subjektiver Perspektive umgehen.
In deren vierten PLURIVERSALE geht es wieder darum, ein buntes Programm von Beiträgen in diversen Formen zum Thema Diversität in der Welt Raum zu geben. Was als Konzept für ein Programm der Akademie der Künste funktionieren kann, funktioniert in der Ausstellung überhaupt nicht. Im Infotext zur Ausstellung heißt es:

„In ihrer neuen Ausstellung nutzen Peter Güllenstern und Jürgen Stollhans die Formen des nicht-narrativen Spielfilms und der Collage, um den Mülheimer Hafen von Köln als Mikrokosmos urbaner Transformation zu erkunden. ... Das Nebeneinander von Modernismus und kolonialer Repräsentation hat den Mülheimer Hafen schon früher stark geprägt: Die berühmte Werkbund-Ausstellung von 1914 präsentierte in einer Völkerschau ein kongolesisches Dorf, und die Pressa-Ausstellung von 1928 zeigte eine „koloniale Sonderschau“ gleich neben dem sowjetischen Pavillon von El Lissitsky, dessen horizontales Wolkenkratzerkonzept später im Zuge der neoliberalen Neuentwicklung des benachbarten Hafengebietes vereinnahmt wurde. Diese geschichtlichen Zusammenhänge untersuchen Güllenstern und Stollhans in ihren pseudo-dokumentarischen DIY-Infografiken.“

Damit ist viel zum hohen (Selbst-)Anspruch der Ausstellung gesagt, die eine Untersuchung von Zusammenhängen geschichtlicher, globaler und lokaler Dimensionen sein soll.

In der zentralen Videoprojektion wird mit einer großen Anzahl an Assoziation gespielt.Die assoziative Methode ist mindestens seit dem Surrealismus gängige künstlerische Praxis und längst in die allgemeinen Kreativtechniken eingegangen. In der Betrachtung, kann man Alles mit Allem assoziieren. Das Problem dabei ist, dass die Zusammenhänge schnell beliebig werden. Die Künstler verpacken hier zu viele, teils abgedroschene (Stadtentwicklung im Mülheimer Hafen als Kolonisierung urbaner Lebenswelten) und oft an dünnem und langem Haar herbeigezogene (, was hat z. B. Kakao aus dem kolonialen Kamerun für Stollwerck mit dem Mülheimer Hafen zu tun?,). Bei so vielen Assoziationen, die in ihrer möglichen Sinnhaftigkeit kaum mehr nachvollziehbar sind, macht sich ohne Gewichtung, Vertiefung oder Verdichtung Beliebigkeit breit.

Man könnte geneigt sein, zu glauben, dass die Künstler mit ihrem komplexen Werk die Komplexität der Wirklichkeit und die damit verbundenen Probleme bzw. Unmöglichkeit von möglichen Erkenntnissen und Entscheidungen Ausdruck geben wollten. Leider funktioniert die Videoprojektion, die aus sechs zugleich laufenden Projektion besteht, auch visuell nicht. Es gibt in dem Fluss der Bilder (und wenigen Töne) keine Bilder und keine Sequenzen, die unsere Aufmerksamkeit gewinnen. Manche Bilder mögen das überraschte Interesse von Betrachtern ohne Vorkenntnisse erregen, wie z. B. die Aufnahmen von Völkerschauen. Sie bleiben aber nur Teil eines Fluss von Bildern, deren assoziative Sinnhaftigkeit schleierhaft bleibt. Das der Blick des Betrachters Betrachters ziemlich ratlos im Raum zwischen den Projektionen herumirrt, könnte natürlich auch Teil einer raffinierten künstlerischen Strategie sein. Diese Strategie kann aber nicht funktionieren, wenn man Kunst in ihrem Kern als Produktion von „Objekten der Aufmerksamkeit“ begreift. Auch Vielfalt, Orientierungslosigkeit und Beliebigkeit lassen sich eindrucksvoller darstellen. Die Videoprojektion und begleitenden Wandcollagen und -zeichnungen können aber keine Aufmerksamkeit für die im Ausstellungstext genannten Themen herstellen.

Vielleicht haben sich hier die beiden Künstler übernommen und sind an dem Versuch, ihre eigene Betroffenheit von Stadtentwicklungsplanung als Bewohner des Mülheimer Hafens in etwas Größerem darzustellen, gescheitert. Der Mülheimer Hafen ist aber nicht der Schmelztiegel der Welt, er ist nur ein Stadtteil, der durch die Industrialisierung seit Mitte bis Ende des 19. Jahrhundert und die Verkehrswegeentwicklung (Eisenbahn, Hafen, Autobahnen und Zoobrücke) geprägt wurde und für den es nach dem Ende der ansässigen Industrien darum geht, eine neue Funktion und Form für das 21. Jahrhundert zu finden. Ob und wie dabei alte Bauten und aktuelle Nutzer eine Rolle spielen, bleibt eine zu entscheidende Frage. Stadtentwicklung(-splanung) ist an und für sich nicht schlecht, sie ist eine legitime kommunale Aufgabe. Die angekündigte Erkundung des Mülheimer Hafen(-s) von Köln als Mikrokosmos urbaner Transformation findet in der Ausstellung leider auch nicht statt. Dafür hätten die Künstler dichter am Ort, seiner Geschichte und Zukunftsplanungen bleiben müssen.

Die weiteren Wandcollagen und -zeichungen und Heinrich Heine über Kopfhörer tragen nichts zur Klärung bei. Auch sie erscheinen als beliebiges Beiwerk, das irgendwie mit der Videoprojektion zu tun hat. „Wirklich schade!“, heißt es auf einem der Bilder, die der Ausstellung auftauchen, und man möchte weiterspinnen, dass soviel Anspruch mit sowenig Kunst einhergeht.

Das Beste zum Schluss: Formal am interessantesten sind drei Ringe an der Wand, die Teile der Skulptur auf dem Kölner Messeturm replizieren. Diese Skulptur wurde vom Bildhauer Hans Wissel in den 1920er Jahren für den Messeturm geschaffen. Die drei Ringe stellen Industrie, Handel und Kunst dar. Aus dem Kontext genommen und in ihrer Form sichtbar, die Skulptur befindet sich in ca. 80m Höhe auf dem Dach des Messturms und Details sind normalerweise kaum erkennbar, repräsentieren sie die symbolische Formensprache ihrer Zeit. Sie könnten so zum Kristallisationspunkt zum Erkunden z. B. der Wechselbeziehungen von Industrie, Handel und Kunst dienen. Aber dergleichen findet in der Ausstellung nicht statt. Wirklich schade!

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