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Aesthetische Fotografie
Foto: Klaudius Dziuk

Strickjacke und Wüstenstiefel

24. November 2021

Das Nö-Theater diagnostiziert den „Hannibal-Komplex“ – Auftritt 12/21

Adiletten sind Pflicht. Khakihose auch. Und Socken in Schwarz, in Rot und in Gelb müssen sein. Asta Nechajute, Julia Knorst, und Anne K. Müller geben den deutschen Militär-Michel des 21. Jahrhunderts als Gemütsterroristen. Doch zunächst werden im Stil Elfriede Jelineks Begriffe in den hermeneutischen Kreisel geschickt, dass es den Betrachter schwindelt. Zwischen rechts und Recht liegt nur ein Buchstabe und wer „uns“ und „die“ sind, hängt eben ganz von Standpunkt ab. Die Bedeutungen geraten ins Trudeln, bis die Ambivalenz kaum noch zu überschauen ist. Dann geht das Nö-Theater in medias res und rollt den Fall des früheren KSK-Soldaten André Schmitt und seines „Hannibal“-Netzwerks auf.

Die Produktion „Der Hannibal-Komplex“ des Nö-Theaters muss als Fortsetzung des Stücks „Francos Hermannschlacht“ um den Bundeswehroffizier Franco Albrecht gelesen werden. Sein Fall (der gerade vor Gericht in Frankfurt/M. verhandelt wird), also seine Doppelidentität als syrischer Flüchtling und Bundeswehroffizier sowie sein Pistolenversteck auf dem Wiener Flughafen, bilden den Ausgangspunkt. Julia Knorst mit Offiziersjacke gibt einen naiv-leutseligen Franco A., der jede Frage der mit Preußenbärten, Strick- und Lederjacke ausstaffierten Polizisten oder der Staatsanwälte locker kontert oder ins Leere laufen lässt. Der ironische Dokumentarismus des Nö-Theater (Text & Inszenierung: Asim Obodašić) hat dabei nichts mit Verharmlosung zu tun, sondern ist eher Reflex des ungläubigen Staunens angesichts des Offensichtlichen.

Über die Schilderung der Prepper-Szene, also der Menschen, die sich auf einen vermeintlichen Zusammenbruch des Staates als Tag X mit Plänen für einen Umsturz vorbereiten, kommt dann allmählich André Schmitts (Tarnname: Hannibal) gegründete Gruppe Uniter als Netzwerk früherer Polizisten, Elitesoldaten und Personenschützer ins Visier. Das Performerinnen-Trio wirft sich in Wüstenuniformen, zieht Stacheldraht über die Bühne und fuchtelt kräftig mit Waffen. Dabei enthüllen die drei in der euphemistischen Sprache eines Werbevideos sarkastisch die Ziele von Uniter als camouflierte rechte Propaganda. Gleichzeitig wird auch der frauenfeindliche Maskulinismus der Rechten mit durch den Kakao gezogen.

Dass sich von Uniter zahlreiche Verbindungen zum NSU, zu Bundeswehr, BKA, MAD und Verfassungsschutz herstellen lassen, dass der Übergang zwischen staatlichen Institutionen und staatsgefährdenden Gruppen oder Parteien fließend wird – darin liegt das Ungeheuerliche. Mitbegründer von Uniter war beispielsweise ein Verfassungsschutzmitarbeiter. Die am Beginn der Aufführung zelebrierte Verflüssigung von Begriffsbedeutungen verliert damit ihre spielerische Manier und materialisiert sich im Politischen selbst. Grauzone als Haltung. Man braucht nicht gleich von Verschwörungstheorien zu faseln, aber dass die endlos breitgetretene These von den Einzeltätern damit kaum mehr als eine beschwichtigende Strategie von Justiz und Politik ist, das lässt sich an diesem sehr sehenswerten Abend schließlich auch noch lernen. 

Der Hannibal-Komplex | R: Asim Obodašić | weitere Termine für Februar 2022 in Planung | 0221 2801

HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

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