In fast jedem Leben spielt die eigene Familie auf die eine oder andere Weise eine zentrale Rolle. Für viele stellen die Angehörigen den Anker im Leben dar, für andere hingegen ist die Familie eine Quelle von Frustration und Zank, die bis zu tiefen Zerwürfnissen führen können. In den wenigsten Fällen sind davon ausschließlich die Streithähne betroffen: Gerade, wenn zwischen Ehepartnern das Tischtuch zerschnitten ist, bleiben unweigerlich auch deren Kinder nicht verschont. Oftmals wird dabei der Streit verschleppt, so dass ungelöste Konflikte das Leben der Betroffenen über Jahre dominieren – ein Automatismus ist diese Entwicklung jedoch nicht. Um den von Trennungen oder anderem Zwist betroffenen Familien zu helfen, die Fronten zu klären, bieten Familienmediatoren ihre Dienste an.
So die selbstständige Kölner Mediatorin Dagmar Weiß, die nach einer 15-jährigen Karriere im juristischen Fach umsattelte. „Ich habe quasi die Fronten gewechselt“, sagt sie. „In der juristischen Arbeit geht es darum, nur eine Partei zu vertreten und das hat mich nicht mehr begeistert. Mir ging es darum, beide Seiten zu sehen und zu einer Lösung zu verhelfen – miteinander zu streiten, nicht gegeneinander.“ Obwohl sie auch in Streitfällen am Arbeitsplatz oder unter Nachbarn vermittelt, stellen Fälle unter Familien doch das Gros ihrer Arbeit dar, Scheidungen, Streitigkeiten ums Erbe oder andere Generationenkonflikte. „Im klassischen Fall kommen Eltern zu mir, die sich trennen wollen, oder schon getrennt sind und nun um ihre Kinder streiten“, so Weiß.
Ein besonderes Augenmerk auf die Situation von Kindern in Trennungsfamilien legt der ebenfalls in Köln ansässige Verein Familiensache e. V., der 2011 gegründet wurde. „Wir drei Vereinsgründerinnen hatten zuvor freiberuflich am Familiengericht als Rechtsbeistand für Kinder in Scheidungsfällen gearbeitet“, sagt Barbara Gerblich aus dem Vorstand des Vereins. „Und aus dieser Tätigkeit heraus hatten wir den Eindruck, dass es für die Kinder meist zu spät ist, wenn die Sache erst einmal vor Gericht gelandet ist.“
Die Mediation selbst ist ein klar strukturiertes Verfahren, in dem die Kontrahenten sich zu mehreren Gesprächsrunden mit dem Mediator zusammenfinden, der die Rolle eines Unparteiischen übernimmt. „Im Vorfeld steht dabei erstmal die Themenfindung“, so Gerblich. „Jeder sammelt die Themen, die ihm wichtig sind – dabei stellt sich schon oft heraus, dass es für beide Seiten die gleichen sind.“ In den Gesprächen sei es wichtig, die Balance zwischen der emotionalen und der inhaltlichen Ebene zu halten, sagt Weiß. Schon die feste Struktur des Verfahrens hilft vielen ein Stück weiter, meint auch Gerblich. „Es hilft, die eigenen Ansprüche und emotionalen Bedürfnisse zu sortieren und ein Stück weit zu versachlichen.“ Jeder der Beteiligten wird dabei unterstützt, klar zu benennen, was er oder sie erwartet, um anschließend zu einer Einigung zu kommen, mit der alle Parteien leben können. „Allein, dass man den Anderen mal wieder ausreden lassen muss, hilft viel weiter. Es geht um eine subjektive Form von Gerechtigkeit, die durch das Verfahren heraus gearbeitet werden soll“, sagt Gerblich. Ziel ist es, zu einer konkreten Vereinbarung zu kommen, die auch schriftlich festgehalten wird. Weiß betont, dass der Mediator keine Lösung anbietet. Sie muss von den Beteiligten selbst gefunden werden.
In welchem Stadium sich Familien befinden, die sich auf der Suche nach Hilfe an Mediatoren wenden, ist sehr unterschiedlich. „Manche kommen noch bevor sie sich getrennt haben zu uns, um sich beraten zu lassen, etwa wie sie es ihren Kindern beibringen sollen“, sagt Gerblich. „Andere haben bereits Jahre des Streits hinter sich – das merkt man vor allem an den Kindern, die dann oft schon Verhaltensauffälligkeiten zeigen.“ Betroffene Kinder werden bei Familiensache ebenfalls als Gesprächspartner mit einbezogen - „manchmal sind die Eltern dann ziemlich überrascht davon, was ihre Kinder denken.“
Auf eine Versöhnung der Streithähne im Sinne einer Familienzusammenführung zielt die Mediation nicht ab, sagen Weiß und Gerblich. „Es geht darum die Fronten zu klären“, so Weiß, „entweder findet man wieder zu einander oder es ist klar, es gibt keine Chance mehr. Aber man findet zu einem Abschluss.“ Für Gerblich ist Versöhnung dann erreicht, „wenn beide sehen können, dass auch dem jeweils anderen die Kinder am Herzen liegen und wenn beide in deren Interesse ein Stück weit auf einander zu gehen können.“
Lesen Sie weitere Artikel
zum Thema auch unter: trailer-ruhr.de/thema und engels-kultur.de/thema
Aktiv im Thema
familiensache-koeln.de | Beratung von Familien im Konfliktfall – der Kölner Verein sieht sich als „Anwalt der Kinder“, die bei Streit und Trennungen am meisten leiden.
partnerschaft-beziehung.de | Die Diplompsychologin und Psychotherapeutin Dr. Doris Wolf hat auf dieser Webseite wichtige Tipps für erfüllte Partnerschaften zusammengetragen.
mediator-finden.de | Sind Konflikte erst einmal festgefahren, hilft häufig nur Vermittlung durch Dritte. Die Suchfunktion erlaubt die eingeschränkte Suche für den familiären Bereich.
Konflikte gehören zum Leben: Was nagt an Ihnen?
Vergeben und vergessen? Zukunft jetzt!
Schreiben Sie uns unter meinung@choices.de.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Versöhn dich gesund!
Wer kultiviert streitet, hat mehr von der Beziehung – THEMA 01/18 VERSÖHNUNG
„Einer wählt CDU, der andere die Linke“
Paartherapeut Michael Cöllen über Streitkultur und Versöhnung – Thema 01/18 Versöhnung
Kein Wille, kein Weg
Intro 05/22 – Zeitenwende
Es wird ungemütlich
Die Russland-Sanktionen werden Armut und Krisen weltweit verschärfen
„Es gibt nur eins: Rüstungs- oder Sozialstaat“
Armutsforscher Christoph Butterwegge über soziale Ungleichheit
In höchster Not
Der Kölner Verein Blau-Gelbes Kreuz organisiert Hilfe für die Ukraine
Aus der Krise fortgeschritten
Finnlands Herausforderungen gestern und heute – Vorbild Finnland
Sparkapsel
Stolze Männer (voran!) - Glosse
Blühendes Forschungsfeld
Der Elberfelder Friedensgarten erkundet Verständigung auf Mikroebene
„Diplomatie ist keine Schönwetter-Praxis“
Kulturwissenschaftler Alexander Graef über politische Reaktionen auf den Ukraine-Krieg
Zwischen den Kriegen
Wann wird Frieden der Normalfall?
Der Krieg und das Klima
Das Bochumer Klimaschutzbündnis fordert transparente und engagierte Klimapolitik vor Ort
„Wir brauchen einen Turbo bei Erneuerbaren“
Germanwatch-Sprecher Stefan Küper über Umwelt, Ressourcen und Zukunft
Fangen wir an, aufzuhören
Sicherheitspolitik auf Kosten der Umwelt
Chance vertan
Intro 04/22 – Kolonialwaren
Blutiges koloniales Erbe
In der Klemme: Das Humboldt-Forum zwischen Geschichtsrevisionismus und Restitution
„Mit den Nachfahren der Kolonisierten zusammenarbeiten“
Museumsdirektorin Nanette Snoep über Raubkunst und die Aufgaben der Museen
Neues Berufsbild für Flüchtlinge
Die Wuppertaler SprInt eG fördert kultursensibles Dolmetschen
„Kultur bedeutet immer, sich Dinge anzueignen“
Philosophin Ursula Renz über kulturelle Aneignung
Raubkultur?
Kulturgut und koloniales Erbe
Erinnerungskultur vor Ort
Stadtführung „colonialtracks“ über Essens Kolonialgeschichte
„Naiv zu glauben, dass Denkmäler Geschichte abbilden“
Historiker Jonas Anderson über den Umgang mit Deutschlands Kolonialvergangenheit
Sind Namen Schall und Rauch?
Umstrittene Denkmalkultur im öffentlichen Raum
Kunstraub in der NS-Zeit
Forschungsprojekt am Museum für Angewandte Kunst Köln
Pardon, wie wichtig ist Ihnen Aura?
Eine absurde Glosse über museale Raubkunst und Walter Benjamin