Wenn sich Patient:innen organisieren, um gegenüber kassenärztlichen Vereinigungen, Leistungserbringern im Gesundheitswesen oder der Politik ihre Interessen zu vertreten, nennt man das Patientenvertretung. Patientenvertretung findet auf vielen Ebenen statt – durch Vertreter im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), in Ethik-Kommissionen oder in Kommunalen Gesundheitskonferenzen. Dazu gehört auch die Patientenbeteiligung NRW, ein vom Gesundheitsladen Köln e.V. getragenes Projekt. Sie erreichte im Jahr 2024 rund 480 Engagierte, darunter Mitarbeitende aus Selbsthilfegruppen, Patientenfürsprecher:innen und Inklusionsvertreter:innen. „Die Perspektive von Patient:innen ist in allen Gremien absolut wertvoll: Sie schafft eine Öffentlichkeit und macht es so schwieriger, einfach am grünen Tisch Entscheidungen zu treffen“, berichtet der Projektleiter Gregor Bornes. „Inhaltlich bereichern Patient:innen die Diskussionen um die individuelle Krankheitserfahrung und die kollektive Kenntnis des Systems durch vielfältig erlebte Versorgung.“
Umstrittenes Stimmrecht
Seit 2004 können sich Vertreter:innen maßgeblicher Patientenorganisationen im Gemeinsamen Bundesausschuss einbringen und so die Gesundheitsversorgung mitgestalten. Im Bundesausschuss sind auch Krankenkassen, Krankenhäuser und Ärzt:innen vertreten. Die Patientenvertreter:innen können Anträge stellen, haben aber bislang kein Stimmrecht, sind also in Interessenkonflikten benachteiligt. Ein mögliches Stimmrecht ist umstritten: Da die Patientenvertreter:innen nicht demokratisch gewählt sind, könnte ein Stimmrecht ihre Legitimation infrage stellen, so das Argument.
Zu den Erfolgen der Patientenvertretung im G-BA zählt ein Qualitätssicherungsverfahren zur Diagnostik und Therapie von Prostatakrebs. Prostatakrebs ist mit 23 Prozent aller Krebserkrankungen die häufigste Krebsdiagnose bei Männern und endet nicht selten tödlich. Bei neuen Krankheiten wie Long-Covid ist die Beteiligung von Betroffenen wichtig, um konkrete Vorgaben zur Diagnose zu machen.
Barrierefreie Praxen
Ein zentrales Anliegen des Projekts ist, das Gesundheitssystem zugänglicher zu machen. Denn während die UN-Behindertenrechtskonvention sicherstellen soll, dass alle Grundfreiheiten auch für Menschen mit Behinderung gelten, mangelt es auch in Arztpraxen bei der Umsetzung. Um die Barrierefreiheit sicherzustellen, fordert die Patientenbeteiligung NRW eine verpflichtende Selbstauskunft der Ärzt:innen und Psychotherapeut:innen – und Sanktionen bei mangelnder Transparenz. Für Praxen, die das Minimum an Barrierefreiheit nicht erreichen, sollen Ausgleichszahlungen fällig werden. Bislang ist die Selbstauskunft jedoch freiwillig. „Das Thema muss sich Gehör verschaffen“, so Bornes. In Fortbildungen trainiert das vom Land NRW geförderte Projekt Patientenvertreter:innen darum auch zu mehr Durchsetzungsvermögen.
Neben mobilitätsbedingten Hürden können auch niedrige Bildung, Armut und Sprachschwierigkeiten den Zugang zu medizinischer Versorgung erschweren. Vorschläge zum Ausbau eines inklusiven Gesundheitswesens liegen auf dem Tisch, strukturelle Verbesserungen gebe es aber kaum. „Wir arbeiten daran, die Verantwortungsdiffusion bei der Umsetzung von Barriere- und Diskriminierungsfreiheit zu beenden“, sagt Jan Kaßner, Referent der Projektstelle. „Im Sinne des Health in all policies-Ansatzes müssen Sozial- und Gesundheitspolitik zusammengedacht werden, da sich gesundheitsbezogene Barrieren und strukturelle Diskriminierung in allen gesellschaftlichen Sphären äußern.“
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