Ein vernieselter Abend in der Kölner Südstadt. Im Foyer des Odeon Kinos, derzeit unter der Leitung von Dieter Hertel, Jürgen Lütz und Martin Roelly, ist es voll, denn die Kölner Filmszene hat sich versammelt. Im Kinosaal, der 222 Zuschauer auf roten Samtsesseln empfängt, spielen sich die Musiker Albrecht Maurer auf der Viola und der Flötist Norbert Rodenkirchen warm.
„Schon als kleines Kind bin ich mit meinem Vater ins Kino gegangen und habe Naturfilme gesehen“, berichtet Martin Walther, Cineast aus Köln. Auch heute fängt das Programm mit einem kinderfreundlichen Kurzfilm an. In ausdrucksstarken Zeichnungen sieht man die Geschichte des Schokoladen-Kaspers, der dank der Stollwerck-Schokolade vom Spargeltarzan zum runden und gesunden Buben wird. Die Bilder mit altdeutscher Schrift betitelt, werden mit Live-Musik und der Stimme von Sascha Pries, Mitarbeiter des Kölnischen Stadtmuseums und Kurator, begleitet.
Die Autorinnen des Buches „Kino in Köln“, das nun beim Emons Verlag veröffentlicht wurde, sind Irene Schoor und Marion Kranen, beide Mitbegründerinnen der Initivative Köln im Film.e.V.. Sie eröffnen den Abend mit einer Danksagung. Das mehrjährige Forschungsprojekt sei immer auch ein Herzensprojekt gewesen. Die Stimme von Dr. Mario Kramp, Kunsthistoriker und Direktor des Kölnischen Stadtmuseums, lässt bei der Recherche zur Ausstellung gefundene Briefe von Ludwig Stollwerck, dem Leiter der Schokoladen-Fabrik aus dem ersten Kurzfilm, lebendig werden. Er schreibt voller Euphorie an Jon Folkman, den amerikanischen Mathematiker, über die noch magischen Cinematographen und die Leinwandbilder, die in der Frühphase des Films wie Hexerei wirkten.
Der Zuhörer taucht ein in eine Welt, in der jedes Veedel in Köln seine eigenen Kinos hatte und man auf der Straße von marktschreierischen Portiers mit Sätzen wie: „Bitte treten sie ein, heute haben nur Kavaliere Zutritt“ für einen Preis von 20 Pfennig eingelassen wurde. Das Publikum saß nicht sittsam und still, sondern stand eng beieinander. Die ersten Kinogänger waren begeistert von den handkolorierten Bildern, den Illusionen und der ersten Erotik auf der Leinwand. In Kirmesbuden-Stimmung und dicker Luft ging man mit dem Nebenmann oder vielmehr der Nebenfrau im Dunkeln auf Tuchfühlung.
Köln ist somit die Mutter der „Kinemas“: Von Köln aus breitete sich das Kino über Berlin hinweg nach ganz Deutschland aus. Die erste Vorführung fand am 20. April 1896 auf dem Kölner Augustinerplatz statt. Und am 23. Mai vor 120 Jahren konnte man das erste Mal Aufnahmen von Köln sehen. Der Kameramann Charles Moisson fing die erste Eisenbahneinfahrt im Kölner Hauptbahnhof filmisch ein. Die Musiker imitieren das Zischen und Dampfen der einfahrenden Lokomotive.
Auch Feminismus gab es in den Filmchen bereits zu sehen. Die erste Frauenbewegung kommt mit einem Augenzwinkern daher: Frauen mimen tollkühne Männer, die sich ihre Liebsten gefügig machen und die Männer sitzen in Frauenkleidern fleißig an Nähmaschinen, tragen Blumen im Haar oder schminken sich gekonnt mit einer dicken Puderquaste. Rollentausch wie im Karneval.
Und was wäre Kino ohne die großen Filmstars? Zum Schluss gibt es Bilder der dänischen Schauspielerin Asta Nielsen, die schon damals eine 100.000 DM hohe Gage für einen Vierjahresvertrag einstrich. Und Henny Porton, ein Star des deutschen Stummfilms, die zur Premiere auf den Flughafen am Butzweilerhof einflog. Bis 1929 regierte der Stummfilm und die Kinoorgel erzeugte alle Sounds.
In Zeiten der Digitalisierung braucht man weder Filmbänder, noch ein Orchester. Es ist der „ständige Besucher“, der die Filmvorführung ganz alleine steuert. Wenn man das Odeon Kino heute besucht, sieht man ihn ganz oben über allem auf der Empore die Aufsicht führen.
Der Abend, den man „auch ohne Insiderwissen toll verstehen konnte“, wie eine Besucherin lobt, klingt mit der Einladung zu einem Kölsch aus. Die Ausstellung „Großes Kino! 120 Jahre Kölner Kinogeschichte“ eröffnet am 3. Juni im Kölnischen Stadtmuseum. Dort sind witzige Fundstücke, wie ein Trinkgefäß aus dem „Kino für jedermann“ und glamouröse Stücke wie ein fetziges Charleston Kleid, anzuschauen. „Denn Kinogeschichte ist auch Stadtgeschichte“, wie Dr. Mario Kramp noch einmal betont.
„Großes Kino!“ | 120 Jahre Kölner Kinogeschichte | 4.6.-6.11.2016 | Kölnisches Stadtmuseum | www.museenkoeln.de/koelnisches-stadtmuseum
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