Folgt man der Berichterstattung, scheint der Niedergang des traditionellen Kinofilms beschlossen. Trendmeldungen aus den Plotküchen des amerikanischen Fernsehens hauen uns neue Serien gleich im Dutzend um die Ohren: Orange is The New Black, Dracula oder Resurrection – es kommt einiges auf uns zu. Das Theater hinkt da mit seiner Inbrunst für den Spielfilm mächtig hinterher. Das Kölner Schauspiel bringt nun Mario Salazars „Die Welt mein Herz“ auf die Bühne, das beim Verlag als „erste Staffel einer Theaterserie“ mit vier Folgen firmiert. Bekanntlich ist das mehrschichtige, komplexe Erzählen ein zentrales Kennzeichen der neuen Fernsehserien und so springt auch das Stück des in Berlin geborenen Autors kräftig zwischen New York, Buenos Aires, Berlin-Moabit und Stendal hin und her. Da haben es mexikanische Auswanderer immerhin nach New York geschafft, um dort das große Glück zu finden – was naturgemäß schief geht.
Währenddessen planen zwei Seniorinnen den 112. Geburtstag von Willi, dem Hund – oder war es doch der Ehemann? Eine Frau in Buenos Aires verlässt ihren Zuhälter und kehrt wieder zu ihm zurück. Und dann wäre da noch Stendal, wo eine Frau ihre Eltern erschießt. Menschen auf der Flucht mit Träumen von einer besseren Zukunft, denen das Scheitern schon eingeschrieben ist, aber auch das das unberechenbare Wunder des Gelingens – wenn auch nicht so, wie erhofft.
Um Flüchtende, ihre Hoffnungen und das schäbige Leben, das sie in der europäischen Festung führen müssen, geht es auch in einer neuen Produktion des Freien Werkstatt Theaters in Köln. Mit „Das Boot ist voll“ setzt es seine Reihe mit Dokumentarstücken fort und dürfte damit aktueller denn je sein. Man muss nicht einmal an das Drama von Lampedusa erinnern. Die Proteste gegen die Überprüfung von Asylsuchenden in Hamburg, die Weigerung der Berliner Polizei, gegen hungerstreikende Flüchtlinge vorzugehen, die Diskussion um eine menschengerechte Unterbringung in Köln und schließlich die Entscheidung des Münchner Landgerichts, einen abgelehnten Asylbewerbers aus der Abschiebehaft in einem Gefängnis freizulassen – all das zeigt, dass die Flüchtlingspolitik ein drängendes, weil ungelöstes Problem ist.
Um Zukunftsträume geht es schließlich auch in Bonn, allerdings in ihrer düstersten Form. Das Duo Biel/Zobralski nimmt sich den Fernseh-Zweiteiler „Welt am Draht“ von Rainer Werner Fassbinder zur Brust. Der einzige Film, in dem sich der allzu früh verstorbene Regisseur am Genre der Science Fiction versuchte – und der später den Brüdern Wachowski als Anregung für ihr Triptychon „Matrix“ diente: Fred Stiller, Leiter eines Instituts für Zukunftsforschung, ahnt, dass die scheinbare Wirklichkeit nur Teil einer riesigen Simulation ist, von der die Menschen aber nichts wissen. Eine Welt, in der alles, auch die Verhaltensweisen bis ins Kleinste vorausberechnet sind und in der sich die Frage nach dem Subjekt grundlegend neu stellt. Wer denkt da nicht an heutige Analysen von Verhaltensmustern und algorithmische Prognosen. Weitsichtiger konnte ein Film eigentlich nicht sein, der im Jahr 1973 entstanden ist.
„Die Welt mein Herz“ I 31.1.(P) I Schauspiel Köln I 0221 27 22 09 90
„Welt am Draht“ I 13.(P)/19./29.3.19.30 Uhr I Theater Bonn I 0228 77 80 08
Das Boot ist voll“ I 23./25./30./31.1. 20 Uhr I Freies Werkstatt Theater I 0221 32 78 17
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