Moonlight
USA 2016, Laufzeit: 111 Min., FSK 12
Regie: Barry Jenkins
Darsteller: Alex R. Hibbert, Ashton Sanders, Trevante Rhodes
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Porträt eines sensiblen Jungen aus dem Ghetto
Dunkler als blau
„Moonlight“ von Barry Jenkins
Seit dem vergangenen Jahr kommen zunehmend amerikanische Filme in die deutschen Kinos, die vom Schicksal der Schwarzen in den USA erzählen – im Allgemeinen und im Speziellen. Und das häufig mit einem all-black Cast. Anders als z.B. in türkischen Filmen, die regelmäßig in den Multiplexen laufen, sieht man das selten in unseren Kinos, weil dafür auf demografischen Gründen kein Markt gesehen wird. „My First Lady“ über das erste Date zwischen Barack und Michelle Obama, „Hidden Figures“ über NASA-Mathematikerinnen in den 60er Jahren, „Loving“ über eine Liebe zwischen einer Weißen und einem Schwarzen in den 50er Jahren oder demnächst „Fences“ von und mit Denzel Washington über einen verbitterten Müllmann in den 50ern sind einige Beispiele mit historischen Stoffen. Aber auch eine Komödie wie „Dope“ über drei jugendliche Hipster, die so gar nicht dem Klischee des schwarzen Ghetto-Kids entsprechen, sondern Rockmusik machen und nur ‚aus Versehen‘ mit Drogen dealen, lief hier. Mit dem für acht Oscars nominierten „Moonlight“ kommt nun erneut außergewöhnliches Black Cinema in die deutschen Kinos.
Liebe und Stolz
Dabei fängt der Film scheinbar mit einer typischen Dealer-Szene in einem heruntergekommenen Viertel an: Liberty City in Miami, ein Sozialwohnbauprojekt, dessen Name die Bevölkerung zu verhöhnen scheint. Hier kontrolliert Juan (Mahershala Ali, Oscar-nominiert als Bester Nebendarsteller) seine Dealer. Wir lernen ihn über eine wunderschöne, ihn schwungvoll umkreisende Kamera kennen, die zugleich einen ersten skizzenhaften Blick auf das Areal freigibt. Juan kommt für einen Drogenboss etwas freundlich rüber. Er verzichtet darauf, sofort die Tageseinnahmen abzusahnen und erkundigt sich stattdessen bei seinem Angestellten nach dessen Mutter und fragt, ob es ihr wieder besser geht, als eine Gruppe Kinder vorbeirennt, die einen Jungen verfolgen. Juan findet diesen Jungen – Chiron – später in einem verfallenen Haus und nimmt ihn fürsorglich mit zu sich und seiner Freundin Teresa (die R‘n‘B-Sängerin Janelle Monáe in ihrer ersten Filmrolle) nach Hause. Erst am nächsten Morgen wird Chiron zu Hause abgeliefert. Da erkennt Juan, das Chirons Mutter Paula (Naomie Harris – Oscar-Nominierung als Beste Nebendarstellerin) drogensüchtig ist.
Juan und Teresa bleiben in Chirons Leben eine sichere Anlaufstelle. „In meinem Haus herrscht nur Liebe und Stolz“, sagt Teresa einmal zu ihm. Ratschläge und Mut werden ihm hier zugesprochen. Trotz des Widerspruchs, dass Juan es ist, der seiner Mutter die Drogen verkauft. Juan ist es auch, der ihm sagt, dass ihn niemand „Faggot“ nennen darf, auch wenn sich später herausstellen sollte, dass er tatsächlich schwul ist. Das sage man nur, um Schwule zu beleidigen, erklärt er dem kleinen Chiron. Ungewöhnliche Worte in einem Ghetto-Drama im Drogenmilieu. Chiron, von den Gleichaltrigen abfällig „Little“ genannt, gilt durch seine Verschlossenheit und Sensibilität bei den anderen Kindern nicht nur als Außenseiter, sondern ist längst als schwul abgestempelt. Sogar sein bester Freund Kevin rät ihm: „Du musst den Niggern zeigen, dass Du kein Weichei bist.“ Chirons Umfeld erkennt schon früher als er selbst seine Identität und zugleich nötigt es ihm bestimmte Verhaltensmuster auf, um zu überleben. Irgendwann gibt auch Chiron nach und fügt sich den Regeln. Das hat für ihn wie für seine Umwelt weitgehende Konsequenzen. Aber tief in ihm, das muss auch Chiron erkennen, ist ein Kern, den er nicht überspielen kann.
Ein Junge, der weint
Barry Jenkins erzählt von seinem Helden auf drei Zeitebenen (gespielt als Kind von Alex R. Hibbert, als Teenager von Ashton Sanders und als Erwachsener von Trevante Rhodes). Der Regisseur verschont uns mit kompliziert verschachtelter Dramaturgie-Raffinesse und setzt stattdessen einen Baustein der Trilogie an den nächsten. Das entspricht auch dem sonst sehr klar erzählten und visuell gestalteten Film, der weit entfernt ist von Elendsklischees. Barry Jenkins erzählt mit autobiografischen Einsprengseln von einem Menschen, der zwar anders ist, aber erst von seinem Umfeld zum Außenseiter gemacht wird. Und er zeigt, wie sein Umfeld ihn formt, bis er wieder passt. Als Jugendlicher erzählt ihm sein langjähriger Freund Kevin (als Kind dargestellt von Jaden Piner, als Teenager von Jharrel Jerome und als Erwachsener von André Holland) in poetischen Worten von der leichten Meeresbrise, die man bis in ihr Viertel spürt und die einen vor Glück beinahe zum Weinen bringt. „Du weinst?“, fragt Chiron, und meint: „Du bist auch ein Junge wie ich, der weint?“ – „Nein“, antwortet Kevin schnell, um keinen Verdacht der Weichheit aufkommen zu lassen. Und dennoch erkennen sich die beiden Jugendlichen in diesem Moment als Seelenverwandte. Die Sensibilität von Chiron trägt den Film, denn sie schlägt sich in einer ganz zarten Erzählweise nieder, die sich bis zur farbinteniven Kameraarbeit und der Lichtsetzung niederschlägt, aber die Abgründe nicht ausspart: Der Film zeigt auch das Drogenschicksal der Mutter ebenso wie die tätlichen Angriffe der Schulkameraden. Aber er lässt daneben auch das Andere, Zarte zu. Mehr noch, er erfühlt es mit jedem Bild.
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