Die Eiche – Mein Zuhause
Frankreich 2021, Laufzeit: 80 Min., FSK 0
Regie: Laurent Charbonnier, Michel Seydoux
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Betörender Naturfilm ohne Off-Kommentar
Im Reich der Sinne
„Die Eiche – Mein Zuhause“ von Laurent Charbonnier und Michel Seydoux
Je mehr der Mensch der Natur zusetzt, desto regelmäßiger feiert er sie auf den großen Leinwänden ab. Zum einen erscheint es, als wolle das Kino so die Pracht der Natur für die Nachwelt bewahren – selbst über die Zoos hinaus. Meistens sehen sich derlei Formate einem Bildungsauftrag verpflichtet, den sie meinen, über einen Off-Kommentar durchsetzen zu können. Das kollidiert leider mit einem anderen ehernen Anspruch des Naturfilms: dem Erleben. Ein Kommentar lenkt immer davon ab. Analyse statt Erlebnis. „Die Eiche“ rückt nun dieses Ansinnen in den Vordergrund: den sinnlichen Naturfilm. Der Mensch schweigt. Und das ist eine reine Wohltat!
Der französische Tierfilmer Laurent Charbonnier zeichnete 2001 bei „Nomaden der Lüfte“ für die Bildgestaltung verantwortlich, 2008 widmete er sich in „Animals in Love“ dem Sexualleben von Giraffe, Löwe, Frosch. Beide Filme waren bereits nur dezent kommentiert. Charbonnier setzt auf sinnliche Vermittlung. „Animals in Love“ holperte noch am Spannungsbogen, doch Charbonnier hielt daran fest. Für „Die Eiche“ holt er sich den Produzenten Michel Seydoux („Cyrano de Bergerac“, „Birnenkuchen mit Lavendel“) mit ins Boot, der damit zugleich sein Regiedebüt vorlegt. Gemeinsam schliff man an der kommentarlosen Doku, verlegte die Narration auf die Montage und trieb das Format in die Perfektion.
Titelheldin dieser kleinen Filmperle ist eine Stieleiche, die 1810 keimte und heute erhaben an einem Waldstück mit Seeblick thront. Nichts anderes macht sie hier ein Jahr lang, gebannt auf 80 Filmminuten: thronen. Da das menschliche Auge aber ungern abendfüllend dem bloßen Anblick eines Baumes standhalten möchte, und das schon gar nicht auf einer Leinwand, richtet sich die Aufmerksamkeit rasch auf die vermeintlich agileren Lebewesen, die diesen mächtigen Baum bevölkern. Die auf dem Baum, im Gehölz und am Ufer munter krabbeln, gleiten, fliegen, huschen, pirschen, jagen, flüchten, schwimmen, wachsen. Ein stetes eifriges Werkeln und reinliches Putzen. Tiere, die ihr Tageswerk verrichten, des Tags, in der Nacht – irgendwer ist immer wach. Der Dokumentarfilm folgt den Be- und Anwohnern klassisch durch die vier Jahreszeiten. Wiederkehrende Konstanten sind Baumbewohner wie Eichelhäher, Eichelbohrer und Eichhörnchen. Drumherum Wildschwein, Ameise und Wasservogel. Das Treiben wird begleitet vom Knarzen, Knacken, Zirpen, vom Rufen, Keifen, Grunzen. Vom Rascheln der Blätter, vom Windspiel. Und man ist durchweg dankbar, dass hier keine Erzählstimme reingrätscht. Fokus!
Ganz unkommentiert bleibt der Film dennoch nicht: Die Komponistin Cyrille Aufort untermalt das Geschehen unaufdringlich mit inspirierten Klängen. Ebenso anmutig oder augenzwinkernd kommentiert mal eine Dean Martin-Schnulze, ein Chanson oder Joseph Garlands „In the Mood“ das Geschehen. Doch wirkt die musikalische Untermalung nie wie ein Eingriff. Dialog statt Monolog. „Die Eiche“ bleibt ein familiengerechtes Erlebnis, eine Lehrstunde für die Sinne. Und dennoch auch fachlich lehrreich: Lernen durch Erleben, Lernen durch Beobachten.
(Hartmut Ernst)
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