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Probenfoto „Philoktet“
Foto: Laura Schleder

„Ein utopisch Besseres, das aufscheinen könnte"

26. Februar 2015

Hansgünther Heyme inszeniert Heiner Müllers „Philoktet“ – Premiere 03/15

Hansgünther Heyme ist der Theatermacher, der in Köln nach 1945 erstmals den Anspruch eines gesellschaftskritischen Theaters formuliert hat. Im symbolträchtigen Jahr 1968 als Oberspielleiter berufen, machte er vor allem mit seinen Schiller-Inszenierungen und seinen Antiken-Projekten von sich reden, die politisch streitbar waren und eine strikt aufklärerische Funktion übernahmen. 36 Jahre nach seiner letzten Inszenierung kehrt Heyme jetzt nach Köln zurück und bringt im Theater Tiefrot Heiner Müllers „Philoktet" auf die Bühne.

choices: Herr Heyme, Sie waren von 1968-1979 hier am Kölner Schauspiel zunächst Oberspielleiter, danach als Schauspieldirektor. Erinnern Sie sich noch an Ihre letzte Kölner Inszenierung?
Hansgünther Heyme
: Das war auch ein Heiner Müller. Ich habe 1979 mit dem „Jugendclub Kritisches Theater“ in Ehrenfeld „Prometheus" von Müller inszeniert. Dass ich jetzt mit „Philoktet" nach Köln zurückkehre, ist kein Zufall. Das habe ich mir so überlegt.

Hansgünther Heyme
Foto: Laura Schleder
Hansgünther Heyme (*1935) gilt als einer der wichtigsten Wegbereiter des deutschen Regietheaters. Nach Assistenzen bei Erwin Piscator und einer Ausbildung zum Schauspieler folgten ab 1957 erste Inszenierungen. Ab 1968 leitete er das Schauspiel Köln, 1979-86 das Staatstheater Stuttgart, 1986-92 das Theater Essen und 1992-94 das Theater Bremen. 1990-2003 war er Intendant der Ruhrfestspiele Recklinghausen. 2004-14 leitete er das Theater im Pfalzbau Ludwigshafen.

Wie sind Sie jetzt wieder nach Köln gekommen?
Über Volker Lippmann, der das Theater Tiefrot leitet. Ich bin ihm lustigerweise erstmals bei meiner „Macbeth"-Inszenierung nach Heiner Müller 1974 begegnet, als ich Schüler der Essener Folkwang-Hochschule dazugeholt habe. Er hat dann bei mir gespielt, als ich Intendant in Stuttgart, Bremen und Essen war und er hat bei mir seine erste eigene Inszenierung gemacht. Dann haben wir uns aus den Augen verloren. Wir wollten ein größeres Projekt realisieren, das ist aber an Terminen gescheitert. Also haben wir gesagt, wir machen ein Pilotprojekt, um zu sehen, wie das überhaupt geht mit uns.


Sie haben damals in Köln neben Schiller mehrere große Antikenprojekte realisiert. Was bedeutet Ihnen die Auseinandersetzungen mit der Antike?

Für mich ist faszinierend, dass diese antiken Texte in ihrer Entstehungszeit durchweg realpolitische Bezüge hatten. Das waren auf die Tagespolitik oder die Existenz der Polis oder des Landes abgestellte Kunstproduktionen. Wenn etwas damals wichtig war, ist das auch heute anwendbar.

Heiner Müller hat sein Stück „Philoktet" 1958 bis '64 in der DDR geschrieben. Inwieweit spielt dieser historische Zusammenhang für Sie eine Rolle?

Schon bei Heiner Müller war das weniger auf die damalige DDR als auf Stalin bezogen. Es kommt ja immer das Wort Dienst vor. Wir dienen einer großen Sache, also dem Sozialismus oder Kommunismus. Auch der IS, also der Islamische Staat, wie immer man das bewertet, ist ein Dienst an einer Sache, die irgendwann kommen soll. Das ist natürlich ein Riesenthema. Sowohl der IS als auch Stalins Kommunismus sind natürlich nichts anderes als ein Faschismus. Mit einer Qualität von Utopie hat das nichts zu tun. Hier bei Müller geht es jedoch um ein utopisch Besseres, das aufscheinen könnte und es nicht tut.

„Philoktet" spielt in Zeiten des Krieges.

„Philoktet" beschäftigt sich mit der Rechtmäßigkeit und der Unbedingtheit von Krieg. Eine Diskussion um Krieg wurde damals in der attischen Literatur zumeist am Trojanischen Krieg, diesem Monsterkrieg, abgehandelt. Philoktet besitzt durch den Bogen des Herakles eine Wunderwaffe, vergleichbar der Atombombe oder der V 2, und befiehlt ein großes Heer. Darin lag ein großes Potential, das ausfiel, als die Griechen ihn auf der Insel Lemnos aussetzten. Jetzt nach zehn Jahren vergeblicher Schlacht um Troja erinnern sie sich an Philoktet und wollen ihn zurückholen.

Geht es Philoktet um die Frage der Moral?

Es geht bei Müller immer um die Frage der privaten Moral. Ist Krieg überhaupt mit Begriffen wie Moral zu führen? Philoktet ist die Urform der Kränkung. Er ist Tag und Nacht mit sich selbst beschäftigt. Diese erzwungene Privatheit führt zu Sehnsüchten, zu Träumen, zu Verlangen. Als die Forderung an ihn ergeht, zum Heer zurückzukommen, droht er mit Selbstmord. Das ist privatistisch, das kann sich ein Odysseus nicht leisten. Bei Neoptolemos dagegen führt die Aufgabe, Philoktet zurückzuholen, zu einem Anwachsen der Brutalität. Die Idealvorstellung von Moral, also ohne Lüge leben zu können, kommt ihm allmählich abhanden. Es ist toll zu beobachten, wie Lüge in solchen Kriegssituationen moralisch wesentlich wichtiger wird als die Nichtlüge.

Und Odysseus? Ist er nicht sowohl Radikalpragmatiker als auch Opportunist?

Das sind natürlich alles Verbrecher, Diener an der Sache, Odysseus genauso wie Neoptolemos, alles Realpolitiker. Odysseus ist opportunistisch für die griechische Sache. Das ist keiner, der sich selbst bereichert. Er ist aber auch kein Schreibtischtäter, sondern schon am Gemetzel beteiligt. Der ist genauso ein Kämpfer wie alle anderen. Odysseus bleibt Tag und Nacht auf die Sache bezogen, also auf das Dienen an der Sache. Bei Müller ist das eine wahrsinnig glitzernde, dialektisch zersetzte Figur, alle Intelligenz der Diskussion ist an ihm zu lernen.

Beziehen Sie das Stück auf ein konkretes Ereignis?

Ich kann das nicht auf ein konkretes historisches Ereignis beziehen. Jeder dieser schwer verstehbaren Sätze bezieht sich auf eine heutige Situation. Auf was soll sich Theater sonst beziehen? Wenn da ein jordanischer Pilot verbrannt wird, kann ich mir als Zuschauer an diesem Text Argumente erarbeiten, um die Situation zu bewerten. Natürlich ist es falsch, Menschen zu erschlagen. Wenn ich aber eine Weltreligion etablieren will, dann ist das notwendig. Ich bin nicht dieser Ansicht, aber das ist zu diskutieren. Wir müssen dem ja entgegentreten.

Wo läge das Widerstandspotential?

Wir bewegen uns durchgehend in diesen Entscheidungsprozessen. Das sind alles Situationen, die man kennt. Es ist nicht zu sagen, das ist die Wahrheit, das ist die Lüge. Solche Texte können dem Publikum die Denk- und Gefühlsqualität vergrößern helfen, wie man zu solchen Situationen heute Stellung nimmt.

Sehen sie irgendwo den Schimmer der Utopie?

Die durchgehende Arbeit daran ist doch mein Leben. Ich mache nichts anderes als danach zu suchen. In jeder Situation ist mein Leben davon bestimmt, daran zu arbeiten, dass auch etwas anderes möglich ist. Die Realitäten sind mit Utopie zu bespicken wie ein Braten.

„Philoktet“ | R:Hansgünther Heyme | 7.3.(P), 11.3. (16 Uhr), 18.3., 20.3., 21.3. 20.30 Uhr | Theater Tiefrot | 0221 46 00 911 / 0172 24 24 336

INTERVIEW: HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

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