Zur
Person:
Patrick Spät (34) ist Verfasser mehrerer Bücher, die sich
mit den Themen Kapitalismus und Arbeit beschäftigen. Er studierte
Philosophie, Soziologie und Literaturgeschichte, in Philosophie
promovierte er 2010 an der Universität Freiburg.
choices: Sie sind Journalist, Autor und Lektor, promovierter Philosoph, Kapitalismus- und Arbeitskritiker. Was bedeutet Ihnen Ihr Beruf, Herr Spät?
Patrick Spät: Erstens füllt er meinen Kühlschrank. Zweitens versuche ich, ein ganz klein bisschen aufzurütteln und das Bewusstsein für manche Ungerechtigkeiten in der Welt zu schärfen.
Das bedeutet, dass Sie Ihren Beruf auch als Verantwortung sehen?
Auf jeden Fall. Wenn ich etwas schreibe, dann schaue ich schon, dass da eine Botschaft hinter ist. Ich versuche, eine rote Linie reinzubringen, die ich auch vertrete. Das ist kein Kasperletheater, da geht‘s ja auch häufig um ernste Sachen. Ich habe das Gefühl, dass es in der Medienlandschaft und auch in der Schule schon einen Fokus gibt, den ich nicht gut finde – dass manche Sachen unter den Tisch gekehrt oder beschönigt werden. Da versuche ich gegenzusteuern.
Sie schreiben in Ihrem Buch „Und was machst du so? Fröhliche Streitschrift gegen den Arbeitsfetisch“ von 2014: „Wenn es die Hölle wirklich gibt, dann ist sie ein Büro.“ Welche Eigenschaften muss Arbeit erfüllen, um Himmel zu sein?
Zur
Person:
Patrick Spät (34) ist Verfasser mehrerer Bücher, die sich
mit den Themen Kapitalismus und Arbeit beschäftigen. Er studierte
Philosophie, Soziologie und Literaturgeschichte, in Philosophie
promovierte er 2010 an der Universität Freiburg.
Die meisten Menschen sind unzufrieden mit ihrer Arbeit, weil sie monoton und fremdbestimmt ist. Jegliche Kreativität, die in Job-Anzeigen immer verlangt wird, wird kaltgestellt. Ich bevorzuge Arbeit, in der horizontal alle Mitspracherecht haben. Damit das Ganze Himmel wird, muss es auf jeden Fall selbstbestimmte und auch sinnvolle Arbeit sein. Die Hölle besteht auch darin, dass viele Jobs eigentlich sinnlos sind. Und die lebenszeitvernichtende 40-Stunden-Woche ist ebenfalls eine höllische Zumutung.
Könnte die Einführung des viel diskutierten bedingungslosen Grundeinkommens dazu beitragen, dass wir kreativere, selbstbestimmtere, sinnvollere Beschäftigungen ausüben?
Die Kernidee des bedingungslosen Grundeinkommens ist nachvollziehbar und gut, dass Arbeit und Existenzrecht entkoppelt werden. Natürlich würde es Energien freisetzen. Und ich hätte auch gerne 500 Euro im Monat mehr auf dem Konto, um das zu tun, was ich tun will. Allerdings, und das ist der große Kritikpunkt, fände ich ein Grundeinkommen nur in einer Gesellschaft, die ganz anders aussehen würde, wünschenswert: In einer, in der die Fabriken, Ackerflächen, Wohnungen und Server, also das Großeigentum zurück in die Hände der Allgemeinheit fallen. Wahrscheinlich hätten wir dann automatisch eine Art Grundeinkommen. Dann könnten die Menschen mehr im Himmel als in der Hölle arbeiten. Unserer jetzigen Wirtschaftsordnung einfach ein Grundeinkommen überzustülpen, halte ich für schreiend ungerecht. Das Gegenargument liegt auf der Hand: Ein DAX-Vorstand, der in Deutschland durchschnittlich 5000 Euro pro Stunde verdient, soll genauso viel Geld erhalten wie eine alleinerziehende Kassiererin. Man sieht ja schon beim Kindergeld – das auch nach dem Gießkannenprinzip ausgeteilt wird – wie ungerecht es ist, Armen und Reichen gleich viel Geld zu geben. Zudem halte ich ein BGE wirtschaftlich, also innerhalb der Logik der freien Märkte, auch für nicht machbar. Geld ist außerdem ein Knappheitsgut, sonst wäre es nicht so wertvoll. Wenn der Staat jetzt jedem Bürger jeden Monat eine Goldmünze gibt, was passiert dann? Der Goldpreis sinkt, weil das Gold entwertet wird. Dinge sind wegen ihrer Knappheit wertvoll. Die Wirtschaft würde sich sofort auf das Grundeinkommen einstellen, die Preise würden einfach steigen und der Niedriglohnsektor wachsen.
Dann würde das BGE das, was es ändern möchte, nicht ändern?
Genau. Es wäre ein Schuss nach hinten. Es wird ja von manchen als Allheilmittel präsentiert, aber ein BGE würde nichts daran ändern, dass wir immer noch in einer kapitalistischen Welt mit Umweltzerstörung, Wachstumszwang, Rassismus, Patriarchat, Krieg und eben auch ausbeuterischer Lohnarbeit leben. Wenn das Geld unterschiedslos verteilt wird, würde es keinen Unterschied herbeiführen. Das BGE würde verpuffen. Es würde sich auch die Flüchtlingsfrage stellen: Was ist mit Leuten ohne deutschen Pass? Wer bekommt das BGE und wer nicht? In der Praxis müsste man klar festlegen, wer es bekommt, und das würde sofort zumindest zu sozialem Unmut führen. Ich halte es für sehr kritisch, das BGE als Erlösung darzustellen. Da fehlt mir die Utopie, die weitergeht.
Sie sagen, dass das BGE in einer anderen Gesellschaftsform vielleicht selbstverständlich wäre. Können Sie sich in unserer Gesellschaft eine Form des Grundeinkommens vorstellen, die funktionieren kann?
Nein, überhaupt nicht. Innerhalb des kapitalistischen Systems, das wir haben, halte ich es im Gegensatz zum Grundeinkommen für sinnvoller, wenn man die Stellschrauben, die in den letzten Jahrzehnten falsch justiert worden sind, wieder richtig ansetzt. Es gibt ja mehrere Möglichkeiten, um Arbeit und Existenzrecht anders zu entflechten. Beispielsweise könnte man den Spitzensteuersatz wieder hochsetzen und eine Vermögenssteuer einführen. Das klingt abstrakt, hat aber ganz konkrete Auswirkungen auf das Geld, das die Leute dann jeden Monat auf dem Konto haben, wenn man nämlich im gleichen Atemzug das Rentenniveau, die Sozialhilfe und den Mindestlohn hochsetzt. Man könnte Milliardenbeträge umschichten, damit man innerhalb des bestehenden Systems eine gerechtere Gesellschaft hat. Man könnte sogar eine 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich finanzieren.
Wie lange wird der Kapitalismus noch halten? Was könnte im Anschluss kommen?
Er ist sehr robust. Es ist ein System, das auf Profit beruht – selbst Kriege und Krisen sind ein Geschäftsmodell. Ich sehe ein Ende leider nicht. Wenn es trotzdem dazu käme, was danach wäre? Einen Sozialismus oder Kommunismus hatten wir noch nie. Was wir hatten, war ein autoritärer Staatskapitalismus – egal, ob in der Sowjetunion oder in China. Hätten wir eine Welt, in der wirklich eine Basisdemokratie herrschen würde und die Güter des Großeigentums in den Händen von allen lägen, wäre das eine Welt, die besser funktionieren könnte.
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