Konzentrierter als in der Ausstellung „Die Schatten der Dinge“ ist es kaum möglich: Das Rautenstrauch-Joest-Museum stellt einzelne kulturhistorische Objekte aus seiner Sammlung vor. Dabei geht um Bedeutung, individuelle Historie und kollektive Geschichte, rituellen Gebrauch und Tradition, um Eigenes und Fremdes, also um Besitz und Verantwortung. Jedes der Exponate, die aus unterschiedlichen Kulturen, Zeiten und Kontexten kommen, wird für sich präsentiert. Die Strahler streifen im Dunklen über die Oberflächen mit ihren Strukturen und Texturen; der Schatten wiederum betont die Form.
Eingeleitet wird die Ausstellung mit einem fragmentarischen Objekt: der unteren Hälfte einer Bronzefigur aus Benin, die Ende des 19. Jahrhunderts geraubt wurde. Über die dargestellte Figur oder die rituelle Bedeutung weiß man wenig bis nichts. Hier nun verstellt der Ausstellungsbesucher beim Betrachten das Licht zum Sehen der Figur, er muss sich eine angemessene Position überlegen – das ist der didaktische Ansatz dieser Ausstellung. Immer wieder sind es Licht und Schatten als inszenatorische Werkzeuge, zu denen trennende Vorhänge und Sockelungen kommen, die die Einzigartigkeit der Objekte herausarbeiten. Beim Elfenbein-Anhänger in Form eines Leoparden (Königreich Benin/Nigeria) setzt man sich auf einen Stuhl und schaut schräg hinab. Hingegen ist der Kopf einer Vishnu-Steinskulptur (Kambodscha) über dem eigenen Haupt errichtet, einzelne Strahler umkreisen nacheinander die Skulptur, die tatsächlich von jeder Seite anders aussieht. Der Schatten eines Kopfaufsatzes aus dem Stamm der Haida (Nordwestküste Nordamerikas) macht den Schnabel eines Raubvogels sichtbar.
Aufgaben eines Museums
Die Ausstellung verdeutlicht die visuelle Vielschichtigkeit der Objekte, die das Museum seit seinem Bestehen gesammelt hat. Natürlich ist eine Überlegung, wie sich kulturhistorische Güter in heutigen Zeiten in ihrer Geschichte, Verschiedenheit, Tradition und Individualität vermitteln lassen. Der Provenienz – wie etwas ins Museum gelangt ist und wer die Besitzstationen davor waren, wie der Erwerb vonstatten ging – kommt besondere Bedeutung zu. Bei den ausgestellten Objekten ist sie genau notiert. Sie wurden Handels- und Spekulationsgegenstände, geraubt und veräußert ohne Rücksicht auf ihre Bedeutung und ihren religiösen Rang für die eigene Kultur. Dies führt zur aktuellen Frage der Rückgabe, die durch die Beutekunst im Dritten Reich weiter in die Öffentlichkeit gerückt ist und ebenso für den Kolonialismus gilt. Als Beispiel thematisiert die Ausstellung im abschließenden Kapitel einen mumifizierten Toi Moko aus der indigenen Bevölkerung Neuseelands, einen mit „Tattoos“ versehenen Kopf, der nicht abgebildet ist und als Vorfahre bereits an nach Wellington zurückgegeben wurde.
Die Ausstellung umfasst noch eine filmische Projektion und eine Installation mit Fotogrammen, die die Themen und Fragestellungen aus heutiger Künstlerperspektive ergänzen. Aber fast scheint es dadurch, als misstraue das Rautenstrauch-Joest-Museum dem Reichtum der Objekte und der eigenen Vermittlung – beides ist hinreichend eindrucksvoll.
Die Schatten der Dinge #1 | bis 3.1. [im November geschlossen] | Rautenstrauch-Joest-Museum | 0221 22 13 13 56
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