Seine weißen Augen sind in Schatten gehüllt, sein Blick geht ins Leere und aus seinem Mund ertönt eine Stimme, die so noch nie die gemütlichen Sitzreihen des Turistarama beschallt haben dürfte.
„Gurrumul“ (AU 2017, 96 Min.) ist der Titel der finalen Filmvorstellung, die im Rahmen der 15. SoundTrack Cologne, am vergangenen Samstag gezeigt wurde, und handelt vom australischen Singer-Songwriter Geoffrey Gurrumul Yunupingu (1971-2017). Gurrumul ist indigener Abstammung, Linkshänder, sodass er eine Gitarre für Rechtshänder kopfüber spielt, und hat sich autodidaktisch das Spielen verschiedenster Instrumente beigebracht. Und er ist von Geburt an blind.
Die Dokumentation ließ die Münder der Besucher kollektiv ein Stück weit offenstehen – zu faszinierend die Person, zu einzigartig die Stimme, zu unvergleichlich der Werdegang des Mannes, der einst die Würdigung „Australiens wichtigste Stimme“ erhielt. Und doch ging es nur auf den zweiten Blick um das tatsächliche Talent des scheuen Musikers. Im Mittelpunkt stand sein Leben als Botschafter des Aborigine-Stammes der Yolngu, als Stimme der Nicht-Gehörten, als Identitätsstifter und Kulturtradierer, der das musikalische Vermächtnis eines ganzen Volks der restlichen Welt zugänglich macht. Obwohl er so gut wie nie Interviews gab und außerhalb seiner Konzerte kaum sprach, hinterließ seine Stimme einen Fußabdruck, in den die Seele eines ganzen Volkes zu passen schien.
Doch es wurde auch deutlich, wie schwierig sich die Dynamik zwischen Moderne und Tradition gestalten kann. Von einer ausgiebig geplanten und, da Gurrumul unangemeldet in die Heimat flog, kurzfristig abgesagten US-Tour wird berichtet. Oder von einem gemeinsamen TV-Auftritt mit der Musiklegende Sting, der im Chaos zu versinken drohte. Doch egal wie unmöglich etwas zu Beginn auch geschienen haben mag, am Ende stand immer eine frenetisch jubelnde Menge vor Gurrumul.
„Gurrumul“ ist ein eindringliches, bewegendes Portrait, zusammengestellt aus Behind-the-Scenes-Footage, Interviews und TV-Aufnahmen. Wenn man so will, ist es am Ende aber vor allem eins: ein Märchen. Über die 10.000 Jahre alten Lieder eines blinden Bardens, der seine Zuhörer bereits mit dem ersten gesungenen Ton zu verzaubern wusste.
In dem zuvor noch etwas spärlich besuchten, aber dadurch nicht weniger charmanten, ein wenig aus der Zeit gefallenen Turistarama, wurden bereits zwei weitere Filme gezeigt: „Super Cool Wins in the End“ (GB 2018, 43 Min.) und „The World Is Mine“ (IL 2017, 68 Min.). Ähnlich wie „Gurrumul“: dokumentarische Balladen über die Sinnsuche in und um die Musik herum.
„Super Cool Wins in the End“ begleitet „Trainees“ in Südkorea auf ihrem Weg zum „Idol“. Oder anders formuliert: Jugendliche auf dem Weg zu Popstars. Damit ist allerdings keine organische, individuelle Entwicklung zu einem eigenständigen Künstler gemeint, sondern die fließbandartige, fremdbestimmte Produktion eines dann-hoffentlich-gefeierten Teenie-Idols. Eine Ausbildung, die mitunter 10 Jahre dauern kann.
Im Mittelpunkt der Dokumentation stehen die New Town Kidz, zwei junge Männer Anfang 20, die nicht nur mit der Erwartungshaltung ihrer jeweiligen Familien zu kämpfen haben, sondern auch mit der eigenen an sich selbst. Wenn einer der beiden Kidz der Kamera gesteht, er, von Depressionen, Selbstzweifel und Panikattacken geplagt, möchte ein „Idol“ werden, um den Wert seiner eigenen Existenz herauszufinden, wird nicht nur die Härte des Geschäfts, sondern auch die Verlorenheit von Teilen einer ganzen Generation eindrucksvoll illustriert. Und dies gelingt in „Super Cool Wins in the End“ ohne erhobenen Zeigefinger oder urteilenden Kommentar.
Mit der Mockumentary „The World Is Mine“ taucht die israelische Regisseurin Ann Oren als Hatsune Miku in den Personenkult um eine japanische Cyber-Diva ein. Hatsune Miku ist eigentlich eine Synthesizer-Software, über die sich vom jeweiligen Nutzer geschriebene Texte von der gleichnamigen Animé-Figur performen lassen – als Projektionsfläche einer kollektiven Fantasie.
Ann Oren nimmt als Miku-Cosplayerin in Tokio Kontakt zu eingefleischten Fans auf, besucht Konzerte, bei denen tausende Zuschauer in ekstatischer Hingabe einer virtuellen Sängerin zujubeln, und droht ihre eigene Identität in der Apotheose eines Computer-Charakters zu verlieren. Im Rahmen einer über-ästhetischen Glorifizierung entwickelt sich die eigentliche Software Schritt für Schritt zu einer Galionsfigur der Götzenhaftigkeit. Fantasie und Realität verwischen. Was ist echt? Was simuliert? Aber auch: Ist Hatsune Miku wirklich weniger „real“ als die selbstinszenierten Instagram-Influencer aus Fleisch und Blut?
Fragen werden in „The World Is Mine“ nicht beantwortet. Aber wer – auch dank des pointierten Einsatzes entrückter musikalischer Untermalung – sich auf eine groteske Reise durch ein imaginäres Wunderland begeben möchte, zwischen Traum und Albtraum changierend, findet mit „The World Is Mine“ den Eingang im Kaninchenbau.
Am Samstag fand parallel auch die Preisverleihung statt: Der Ehrenpreis ging in diesem Jahr an Komponist Craig Armstrong („Moulin Rouge“, „Der große Gatsby“). Der Peer Raben Music Award ging an Mateja Starič für die beste Musik in einem Kurzfilm. Als beste Musikdokumentation wurde „Silvana“ ausgezeichnet, das zwei Tage zuvor auch in der Filmpalette gestartet war. Zudem wurden Nachwuchs- und Förderpreise vergeben.
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