Ein grünes Kleid, das Meer und die Augen von Pepe el Romano – nicht viel, wovon die Töchter der Bernarda Alba träumen. Acht Jahre Trauer isoliert von der Gesellschaft hat die Witwe sich und ihren fünf Töchtern nach dem Tod ihres Mannes verordnet und beschwört damit eine Tragödie herauf. Federico Garcia Lorca schrieb „Bernarda Albas Haus“ 1936 – ein reines Frauenstück, seltene Ware in der Theaterwelt. Aber das nur am Rande. Der körperlich abwesende Mann ist omnipräsent und in der Adaption von Andrea Bleikamp auch auf der Bühne zugegen: als Bild, als Gender-Stereotype und als Teil des Schauspieler-Duos Tomasso Tessitori und Frederike Bohr.
Wie sich die beiden zu Beginn sprechend aus der Dunkelheit lösen und sich inmitten von 18 schwarz verhüllten Kleiderpuppen nicht von diesen unterscheiden, ist ein großer Theatermoment. Andrea Bleikamp und ihr Ausstatter Claus Stump entwerfen in der Folge eine klaustrophobische Atmosphäre in einem strengen Schwarz-Weiß. Die Kleiderpuppen demonstrieren die Macht der Gesellschaft ebenso wie religiösen Fundamentalismus, der den weiblichen Körper den Blicken der Öffentlichkeit entzieht.
Die Produktion nähert sich Lorca assoziativ, verfolgt einzelne Gedankengänge über das Wesen von Unterdrückung und Gewalt. Es wird nicht erzählt, sondern ein Diskurs eröffnet – eigentlich die große Stärke der Arbeiten von Andrea Bleikamp. Hier nun aber erzeugt die Montage verschiedener Ästhetiken, die Collage aus Chorälen, Popsongs und Pferdewiehern, die Konfrontation von Videobildern mit dem Bühnentableau, die mehrfache Auflösung der Rollen keine produktiven Brüche, sondern eine große, ermüdende Offensichtlichkeit.
Gesprochene Regieanweisungen und Dialogzeilen Lorcas werden in Beziehung gesetzt zu dem Bericht einer Vergewaltigung, wie sie während der Massenproteste in Ägypten immer wieder stattgefunden hat. Der von Frederike Bohr emotionslos vorgetragene Report gehört zu den intensivsten Momenten der Inszenierung. Gerade die Zurücknahme lässt das Ungeheuerliche vor dem inneren Auge Gestalt annehmen. Die Gesellschaft, zumal die männlich dominierte, ist hochgradig gewalttätig, jede Form von Abweichung wird unterdrückt. Der Sehnsucht nach Leben bleibt nur ein wilder Tanz als Ventil.
„Raus aus Bernardas Haus“ | R: Andrea Bleikamp | 23.5.-27.5. | Studiobühne Köln | 0221 470 45 13
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