Ob sie sich verletzen? Sicher wird es Verrenkungen, blaue Flecken und Quetschungen geben – an den Armen, dem Rücken, den Genitalien. Das Publikum macht sich so seine Gedanken, wenn es dem zuschaut, was die fünf jungen Männer der beiden belgischen Theatergruppen „het kip und kopergietery“ da auf der Bühne der Brotfabrik veranstalten. „Chicks for money and nothing for free“ heißt die Produktion, die im Rahmen des Westwind Festivals als Gastspiel zu sehen ist. Denn während des NRW-Treffens der Kinder- und Jugendtheater stehen auch Produktionen aus den Nachbarländern auf dem Programm.
Nach 70 Minuten hatten sich das Theater und sein überwiegend weibliches Publikum in ein tobendes Etwas verwandelt. Was war geschehen? Die fünf Jungs hatten sich mangels Worten ihre Muskeln und später auch noch andere Körperteile gezeigt. Eine wilde Rauferei angezettelt, sich kräftig gegenseitig auf den nackten Rücken geschlagen, Tritte verpasst. So das Übliche, mit dem man sich in jüngeren Jahren auf dem Schulhof erfrischt hat, hart und herzlich, bis einer an zu weinen beginnt. So geht es auch hier zu, an Sadismen wird nicht gespart und zugleich reißt das Gelächter nicht ab, weil männlichen Initiationsritualen doch eine unglaubliche Komik innewohnt. Dieses Kräftemessen, Unterdrücken, Kämpfen und die diversen Rempeleien, mit denen man sich unbeholfen zeigt, dass man sich doch irgendwie ganz gut leiden kann. All das zeigen die Belgier mit perfektem Timing, mit einer Komik, die trocken ausgespielt wird und die verrät, wie genau man die Körpergesten der Jungs studiert hat.
Unglaubliche Dinge geschehen auf der Bühne: während sich zwei Akteure eine Geschichte erzählen, quetschen sich die anderen drei in einen winzigen gläsernen Kubus, der bald beschlägt von den schwitzenden Körpern. Männerschweiß spielt hier schon eine große Rolle, aber auch Rasierschaum, nachdem bald das ganze Theater riecht – denn zwei der Männer haben sich von Kopf bis Fuß mit Rasierschaum besprüht. Und so tanzen sie dann „Schwanensee“, und das mit durchaus interessanten Tanzfiguren. In jedem Fall eine Version, die diese Welt noch nicht gesehen hat.
Wer ein Mann sein will, der muss selbstverständlich auch die Sause mit dem Bier hinter sich bringen. Tatsächlich wird dann eine Bier-Orgie auf der Bühne veranstaltet (Nie in der ersten Reihe sitzen!), in deren Verlauf Bierduschen und -fontänen sprudeln. Im Theater muss es schon etwas mehr sein, wenn die physische Seite menschlicher Existenz gespürt werden soll. Dass die Belgier ihr Publikum überwältigen, liegt aber nicht alleine an ihrem Mut, mit dem sie konsequent ihr Thema vorantreiben. Sie kennen ihre Vorbilder bis in die Antike hinein, wenn in Badeszenen – auch die müssen auf der Bühne ausgestellt werden – beiläufig der Laokoon zitiert wird. Und mit dem Fortlauf der Inszenierung entwickelt sich ein Respekt vor diesen jungen Männern, die zunächst herumalbern, deren Aktionen aber zugleich eine Vorstellung davon geben, wie anstrengend und schmerzhaft es für Jungs ist, in eine männliche Identität zu finden. Ein Weg, auf dem Verletzungen unvermeidlich sind. Zugleich stellt man beeindruckt fest, was Jungs so alles können. Den fünf jungen Belgiern dabei zuzuschauen, bescherte allen Anwesenden eine Theatererfahrung, die niemand vergessen wird.
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