Die letzten Jahre haben gezeigt, dass der feministische Kampf nicht linear verläuft. Man sieht teils gar Rückwärtsbewegungen: So prahlte etwa der amtierende amerikanische Präsident einst damit, Frauen auch ungefragt zwischen die Beine greifen zu können: die Frau als willenloses Objekt und sexuelle Übergriffe als legitimes Flirtmittel abgesegnet vom Präsidenten? Willkommen im 21. Jahrhundert. Die Utopie einer Gesellschaft, in der die Mitglieder gleichberechtigt partizipieren können ist unter Druck geraten. Zu spüren bekommen das vor allem jene, die seit jeher besonders vulnerabel sind: Minderheiten und Frauen.
Die Aktivistinnen des Frauen*streik Köln Bündnisses haben sich entschieden, nicht in der Opferposition zu verharren, sondern gemeinsam die Stimme zu erheben. Das Sternchen im Namen steht dafür, dass Frauen, Lesben, Inter- und Transidentpersonen (FLINT) gemeint sind. Kerstin, die sich seit der Bündnisgründung im Herbst 2018 bei Frauen*streik Köln engagiert, braucht nur wenige Worte, um zu erklären, warum ihre Arbeit wichtig ist: „Weil wir immer noch in einer Welt leben, in der Frau, Lesbe, Transident- oder Interperson sein bedeutet, dass man einem ständigen Risiko ausgesetzt ist, Opfer von verbaler und physischer Gewalt zu werden.“
Die Aktivistinnen treffen sich einmal im Monat zu einer Plenarsitzung. Dort werden aktuelle Projekte besprochen und Veranstaltungen geplant. Das Bündnis richtet Workshops und Podiumsdiskussionen aus. Bei den Sitzungen werden Namensschilder getragen, auf denen jede angibt, mit welchem Pronomen er oder sie sich identifiziert. Bei vielen steht „sie“, auf einem Schild liest man „ser“ und bei anderen Teilnehmer*innen ändert sich das Pronomen regelmäßig. Cis-Männer, das heißt männliche Personen, bei denen das biologische Geschlecht mit dem sozialen Selbstverständnis als Mann korrespondiert, sind bei den Treffen nicht erwünscht. Dieser Raum soll denen gehören, die in der gesellschaftlichen Realität mit Vorbehalten zu kämpfen haben und dort nicht immer gleichberechtigt partizipieren können. „Uns ist es total wichtig, eine maximale Wohlfühlatmosphäre zu schaffen“, erklärt Kerstin. Die Redezeit soll denen gehören, die mit ihren Perspektiven sonst oft zu kurz kommen. Ein wichtiger Bestandteil ihrer Arbeit sei es, so Kerstin, gemeinsam Mut zu entwickeln: „Wir versuchen, uns gegenseitig zu bestärken und uns Sicherheit zu geben“. Die eigenen Interessen zu artikulieren und auch zu lernen sie selbstbewusst einzufordern, sei bei vielen FLINT-Personen in ihrer Sozialisation zu kurz gekommen, sagt Kerstin. Abseits des Plenums seien Cis-Männer übrigens gerne gesehen, sofern sie die Werte des Bündnisses teilen. Kerstin erzählt, sie halte es mit der Rapperin Ebow und paraphrasiert eine Zeile: „Ein echter Mann ist Feminist“.
Jedes Jahr am 8. März, dem internationalen Frauenkampftag, richtet man eine große Demo aus. 2020 stehen alle Aktivitäten unter dem Motto „Arbeit“. Das Bündnis möchte darauf aufmerksam machen, dass Frauen* für ihre Lohnarbeit häufig schlechter bezahlt werden und schlechtere Voraussetzungen haben, gewisse Positionen überhaupt zu erlangen. Hinzu kommt, dass die gesamte Pflege- und Sorgearbeit überproportional häufig – sowohl im privaten, als auch in Bereich der Lohnarbeit – von Frauen übernommen wird, gleichzeitig schlecht oder gar nicht bezahlt wird und eine sehr geringe Wertschätzung erfährt. Dieses Risiko der doppelten Benachteiligung soll bestreikt werden. Jede Form des Engagements ist willkommen, sagt Kerstin: „wobei physische Präsenz natürlich immer geiler ist als Likes“.
Neuer Feminismus - Lesen Sie weitere Artikel
zum Thema auch unter: trailer-ruhr.de/thema und engels-kultur.de/thema
Aktiv im Thema
kritische-maennlichkeit.de | Autor Janosch Krotz beschäftigt sich mit den Fallstricken der eigenen männlichen Privilegien.
ausnahmslos.org | Der noch immer aktuelle #ausnahmslos-Aufruf lässt sich hier in Gänze nachlesen.
jochenkoenig.net | Jochen König lebt in ungewöhnlicher Familienkonstellation und schreibt über seine Erfahrungen.
Fragen der Zeit: Wie wollen wir leben?
Schreiben Sie uns unter meinung@choices.de.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Geschlechterwandel
Intro - Neuer Feminismus
„Es gibt keine Chancengleichheit“
Politologin Judith Goetz über antifeministische Denkmuster
Frauen gegen Männer?
Zwischen Feminismus und Antifeminismus – Glosse
Geschlechter-Gerechtigkeit in der Lohnabrechnung
Der isländische „Equal Pay Act“ – Europa-Vorbild: Island
Das Ende des Patriarchats
Ein Etappensieg?
Leistung ist nicht alles
Teil 1: Lokale Initiativen – Initiative an der Deutschen Sporthochschule fördert psychische Gesundheit
Damit eine grausame Tradition endet
Teil 2: Lokale Initiativen – Düsseldorf: Verein stop mutilation gegen weibliche Genitalbeschneidung
Im eigenen Körper durchs Leben
Teil 3: Lokale Initiativen – Die Filmreihe „Body Positivity“ vom Medienprojekt Wuppertal
Vorsicht Kunst!
Teil 1: Lokale Initiativen – Der Kölner Berufsverband Bildender Künstlerinnen und Künstler
Keine Subventionen gegen Mensch und Natur
Teil 2: Lokale Initiativen – Die Schutzgemeinschaft Fluglärm Dortmund – Unna
Opfer nicht allein lassen
Teil 3: Lokale Initiativen – Der Weisse Ring Wuppertal hilft Menschen, die unter Kriminalität und Gewalt leiden
Meine Stimme zählt
Teil 1: Lokale Initiativen – Der Outline e.V. in Köln-Chorweiler
Ein Kiez gegen Rechts
Teil 2: Lokale Initiativen – Die Quartiersdemokraten in Dortmund-Dorstfeld
Für eine neue Öffentlichkeit
Teil 3: Lokale Initiativen – Die Mobile Oase in Wuppertal-Oberbarmen
Menschenrechte vor Dividenden
Teil 1: Lokale Initiativen – Der Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre in Köln
Etwas zurückgeben
Teil 2: Lokale Initiativen – Wuppertals Zentrum für gute Taten e.V.
Mit Oma auf die Straße
Teil 3: Lokale Initiativen – Die Bochumer Ortsgruppe der Omas gegen Rechts
Politischen Streit zulassen
Teil 1: Lokale Initiativen – Das Kölner Grundrechtekomitee und der Verfassungsschutz
Vertrauen in die Polizei
Teil 2: Lokale Initiativen – Projekt EQAL erforscht das Verhältnis von Stadtgesellschaft und Polizei
Die Waffen nieder
Teil 3: Lokale Initiativen – Der Landesverband Nordrhein-Westfalen der Deutschen Friedensgesellschaft
Wissen über KI fördern
Teil 1: Lokale Initiativen – Die Kölner Wissenschaftsrunde
Dein Freund, das Handy
Teil 2: Lokale Initiativen – Forschung zur Smartphone-Nutzung in Beziehungen an der Universität Witten/Herdecke
Wer bin ich?
Teil 3: Lokale Initiativen – Johannes Wilbert begleitet Menschen bei ihrer Suche nach dem passenden Beruf
Vor Ort Großes bewirken
Der Verein Köln Agenda und die Zivilgesellschaft – Teil 1: Lokale Initiativen