„So haben wir uns das Ende des Patriarchats nun wirklich nicht vorgestellt“, titelte die taz am 18. Juli 2019. Auf einem Foto waren Bundeskanzlerin Angela Merkel, die damals designierte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen sowie die neue Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer im Schloss Bellevue zu sehen. Die Aufnahme belegt: Das Prinzip der Herrschaft von Männern über Frauen und Kinder ist vorbei. Frauen haben heute Zugang zu allen gesellschaftlichen Machtpositionen. Wer das verkennt ist entweder blind oder ignorant.
Vielen Feministinnen geht aber (durchaus verständlich!) gegen den Strich, dass halt „irgendwelche“ Frauen an die Macht kommen, und nicht die, die feministische Politik machen. Was nützen feministische Kämpfe, wenn am Ende Deppen gegen Deppinnen ausgetauscht werden und ansonsten alles beim Alten bleibt? Doch diese Perspektive verkennt sowohl das Erreichte als auch das, was noch zu erreichen ist.
Dazu zählt zum Beispiel der Bereich ungewollte Schwangerschaften: Die anhaltende Debatte um den Paragrafen 219a zeigt, dass reproduktive Selbstbestimmung noch lange nicht verwirklicht ist. Dennoch ist unbestreitbar, dass sehr vieles bereits besser geworden ist. In den 1950er Jahren waren Frauen, die ungewollt schwanger wurden, in der Regel auf sich allein gestellt. Heute sind nicht nur die rechtlichen Rahmenbedingungen besser: Betroffene haben auch gute Chancen, Beistand bei Freundinnen, Ärztinnen oder der Familie – in den 1950ern nicht selbstverständlich – zu finden. Dieses „ersparte Leid“ ist konkret, greifbar und ein Erfolg feministischer Politik.
Es ist ein Irrtum zu glauben, das Ende des Patriachats bedeute zwangsläufig das Ende von Ungerechtigkeit. Das Ende des Patriarchats ist bloß das Ende der spezifischen Form von Herrschaft, die auf der Torheit fußt, Männer seien stärker, besser und mehr wert. Dass dem nicht mehr so ist, dafür stehen die drei Damen von der CDU. Sie stehen aber auch dafür, dass das alles nur das Ende einer Etappe sein kann. Es war absehbar, dass nicht feministische Rebellinnen, sondern konservative, weiße, privilegierte Frauen die ersten sein werden, die an die Macht kommen. Es ist aber jetzt schon absehbar, dass sie anderen politischen Frauen den Weg bereiten werden. Man denke nur an so unterschiedliche Typinnen wie die Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg, die Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez von den US-Demokraten oder die Kapitänin und Klimaschutzaktivistin Carola Rackete. Anders als Merkel, AKK und von der Leyen heben diese drei sich von der herrschenden Ordnung nicht nur durch ihre Weiblichkeit ab. Nein, sie verkörpern auch das Erbe einer feministisch-politischen Kultur, die umso wichtiger wird, je mehr Frauen an die Schaltstellen der Macht gelangen.
Es ist ein Irrtum, zu glauben, weibliche Tugenden ließen sich aus Körpern oder Geschlechtsidentitäten ableiten. Haben sich früher nur die Männer in Kriegen oder auf den kapitalistischen Märkten egoistisch, unsozial und verantwortungslos aufgeführt, so tun es heute auch Frauen. Allein mehr Frauen an der Macht, werden das Klima, Europa, die Demokratie oder was auch immer nicht retten. Dafür müssten schon alle in die Puschen kommen.
Das Ende des Patriarchats ist auch nicht das Ende des Feminismus. Je mehr Frauen an die Macht kommen, desto wichtiger ist, was und wie sie es tun. Feminismus bedeutet eben nicht, dass Frauen dasselbe machen dürfen wie Männer. Dem Feminismus geht es um Freiheit und Gerechtigkeit, kurz: um das gute Leben für alle. Das Ende des Patriachats ist nur ein Etappensieg. Nicht mehr.
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