Kind oder Karriere? Nach den Gesetzen der Republik handeln oder den Sohn vor der Verbannung retten? Mit diesen Fragen steht Francesco Foscari vor einem Dilemma, denn sein Sohn Jacopo wird des Mords bezichtigt. Wir befinden uns in Venedig im Jahre 1457: Francesco ist der venezianische Doge, und obwohl die Macht eines Dogen in der Barockzeit bereits sehr stark durch die juristische Institution des Rats der Zehn limitiert wurde, glaubt Francesco als Vertreter des Staats, oder des Löwen, wie die Venezianer zu pflegen sagen, richtiger zu handeln als aus der Perspektive eines Vaters.
Ihm gegenüber steht sein verzweifelter und doch ergebener Sohn, der sich mit der Gewissheit von Vaters Liebe tröstet, und dessen Frau Lucretia. Lucretia hätte aufgrund der bevorstehenden Verbannung von Jacopo als schluchzendes Opfer daherkommen können. Doch sie verkörpert eine starke, entschlossen Frau, die sich mit dem Rat der Zehn und dem feigen Schwiegervater stimmgewaltig anlegt.
Francesco ist eine Marionette, Strippenzieher ist der doch so geliebte Staat. Beim Urteil des Sohnes wirkte er auch noch wie eine Judasfigur: „Du wirst mich ein letztes Mal sehen, aber ich werde nicht als Vater, sondern als Doge handeln.“ Dann wäre da noch Jacopo Loredano, der Bösewicht, der den unschuldigen Jacopo Foscari des Mordes anklagt. Mit Brille und streng zurückgekämmten Haaren, entsprach er dem klischeehaften Bild eines Psychopathen aus Filmen und Fernsehen. Guiseppe Verdis „I due Foscari“ ist eine lyrische Tragödie und erst seine sechste Oper. Als literarische Vorlage diente „The Two Foscari“ von Lord Byron, der in Italien im 19. Jahrhundert populär war und als exzentrischer Frauenheld galt.
Das Bühnenbild konstruiert sich aus einem modernen Bürogebäude mit IT-Abteilung. Ein Kameramann filmt in der ersten Szene den Rat der Zehn für ein Interview und kann gar nicht aufhören zu filmen. Schnell lässt sich erkennen, was Sache ist: Präsentiert wird ein totalitärer Überwachungsstaat, wo ständig gefilmt oder gelauscht wird – George Orwell lässt grüßen. So wirken die Kulisse und die Businesskostüme der Opernsänger zunächst als zeitlicher Kontrast. Die Oper scheint sich aber einem zeitlosen Thema, wenn auch in extremster Form, gewidmet zu haben. Ist es nicht ein allzu bekanntes Problem, wenn Paare immer wieder vor der Entscheidung ‚Kind oder Karriere‘ stehen?
Trotz der häufigen, sehr langatmigen Gefühlsäußerungen der Familie Foscari besticht die Musik mit einer Leichtfüßigkeit, nicht zuletzt wegen der melodischen Barkarolen, den venezianischen Gondelliedern, die ein musikalisches Thema darstellen. Bereits in der ersten Szene lässt Jacopo Foscaris Arie mit seinem sehnsuchtsvollen Ruf nach Freiheit das Trommelfell vibrieren. Alle Finali waren, ob solo, im Duett oder im Quartett, ein auditives Erlebnis und versetzten das Publikum für einen Moment in eine schwerelose Sphäre jenseits des Alltags.
„I due Foscari“ | R: Philipp Kochheim | 19., 26.5. 19.30 Uhr, 3.6. 16 Uhr, 9., 24.6. 18 Uhr, 29.6. 19.30 Uhr, 7.7. 18 Uhr, 12.7. 19.30 Uhr | Theater Bonn | 0228 77 80 08
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