Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
22 23 24 25 26 27 28
29 30 1 2 3 4 5

12.560 Beiträge zu
3.787 Filmen im Forum

„Titanic“
Foto: Scott Rylander

Eine Broadway-Opera vom Feinsten

26. Juli 2019

„Titanic“ von Thom Southerland in der Kölner Philharmonie – Musical 07/19

Die großen Event-Musicals leben auch von ihren überwältigenden Spezial-Effekten: Was wäre das „Phantom der Oper“ ohne seinen in den Zuschauerraum „fallenden“ Kronenleuchter, „Miss Saigon“ ohne den auf der Bühne landenden Hubschrauber und „Les Misérables“ ohne die spektakuläre Barrikade, auf der sich die Revolutionäre verteidigen. Auch „Titanic“ konnte bei seiner Uraufführung am Broadway 1997 mit einem beeindruckenden Bühnenbild aufweisen: Der Querschnitt des legendären Ozeandampfers bot auf drei übereinander liegenden Spielebenen Platz für die 1.-3. Klasse-Gesellschaft der Passagiere. Außerdem kam bei der Untergangsszene eine raffinierte Hydraulik zum Einsatz, die das Schiff in einem Neigungswinkel von 40% „sinken“ ließ. Und mit einem Cast von 68 Protagonisten war „Titanic“ eines der personenreichsten Musicals der Broadway-Geschichte.

Nun war man gespannt, wie das Sommerfestival in der Kölner Philharmonie, die ja eigentlich über keine Theaterbühne verfügt, mit diesen Herausforderungen umgehen wird. Und tatsächlich ist es dem Veranstalter gelungen aus der Not eine Tugend zu machen. Sie kauften für die Deutschland-Tournee von „Titanic“ Thom Southerlands Inszenierung aus dem 265-Platz starken Londoner Off-West-End-Theater Charing Cross ein, die mit einem schlichten, das Schiff nur andeutenden Bühnenbild aufwartet, in das ab und an ein paar Requisiten wie Tische und Stühle herein geschoben werden. Außerdem dampfte Southerland das Ensemble auf 25 Personen zusammen, sodass sie abwechselnd die Passagiere der 3. Klassen spielen müssen. Und auch das Orchester ist auf sechs Musiker – Keyboard, Streich-Quartett und Percussion – geschrumpft. Dennoch ist es Musical-Direktor Leigh Thompson mit seinen dynamischen Arrangements gelungen, den Geist von Maury Yestons vielschichtiger Partitur zu erhalten, die das fast durchkomponierte Stück mehr als Broadway-Opera, denn als Musical verortet.


Judith Street und Dudley Rogers als Ehepaar Straus
Foto: Scott Rylander und Annabel Vere

Das mit 5 Tony Awards ausgezeichnete Musical gehört zu jenen Genre-Beispielen, die auch ohne Musik auf der Bühne bestehen könnten, denn Autor Peter Stone hat kein oberflächliches Katastrophen-Szenario geschrieben, sondern sehr detailliert die Entstehungsgeschichte des Schiffbaus, die persönlichen Eitelkeiten von Ingenieur, Reeder und Kapitän, die letztlich durch die Kollision mit einem Eisberg zum Untergang am 15. April 1912 führten, herausgearbeitet. Zusätzlich wirft er einen pointierten Blick auf die Psyche der Protagonisten, von den Auswanderern in der 3. Klasse, über die neidisch in die 1. Klasse schielenden Passagiere der 2. Klasse bis hin zu den Superreichen, die keine Sekunde daran denken, dass sie nicht gerettet werden. Dabei gelingen ihm so ergreifende Szenen, wie die mit dem alten Ehepaar Straus (mit berührender Zärtlichkeit von Judith Street und Dudley Rogers interpretiert), das sich entschließt gemeinsam in den Tod zu gehen und seine Schwimmwesten ihren Kammerzofen überlässt. Als sie sich mit „Still“ ein letztes Mal ihrer Liebe versichern, erinnert der Song nicht von ungefähr an Tewjes und Goldes „Do You Love Me?“ in „Anatevka“.

Überhaupt punkten alle Darsteller mit einer geschlossenen Ensembleleistung, zeigen keine schauspielerischen Schwachstellen und überzeugen auch gesanglich, vor allen in den mitreißenden Chor-Kantaten. Und selbst die einzige Tanzszene des Musicals, ein temperamentvoller Rag (Choreographie: Cressida Carré) geht ihnen locker von den Füßen. Und wenn zum Finale noch einmal die schon am Anfang mit aller Wucht und Sehnsucht gesungene Hymne „Godspeed Titanic“ erklingt und das Ensemble vor der Tafel mit den 1.514 Ertrunkenen der über 2.200 Passagiere verharrt, braucht man sich ob dieses anrührenden Moments seiner Tränen nicht zu schämen und dankt mit stehenden Ovationen für diesen außergewöhnlichen Musical-Abend.

„Titanic – The Musical“ | 26.7. 20 Uhr, 27.7 15 u. 20 Uhr, 28.7. 14 u. 19 Uhr | Kölner Philharmonie | 0221 280 280

Rolf-Ruediger Hamacher

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Challengers – Rivalen

Lesen Sie dazu auch:

Alle Jahre wieder
„Rocky Horror Show“ am Capitol Theater – Musical in NRW 06/22

Abschied von einer Diva
„Sunset Boulevard“ in Krefeld – Musical in NRW 04/22

Zwei Flops und ein Volltreffer
„Der Mann von La Mancha“ am Theater Münster – Musical in NRW 03/22

Schillernde Vielfalt
Endlich wieder Musicals auf den NRW-Bühnen – Musical in NRW 01/22

Nur ein paar (Stepp-)Schritte vom Broadway entfernt
„Chicago“ an der Bonner Oper – Musical in NRW 10/21

Sting kann auch Musical
Deutsche Erstaufführung von „The Last Ship“ in Koblenz – Musical in NRW 09/21

Hippie-Flower-Power-Rock
„Hair“ auf Burg Wilhelmstein bei Aachen – Musical in NRW 07/21

Das Musical-Phänomen schlechthin
„The Fantasticks“ in Bad Godesberg – Musical in NRW 07/21

Von der Kunst der Improvisation
Springmaus mit „It’s My Musical!“ an der Volksbühne – Bühne 08/20

Schlager sind Trumpf
Fetzige Jukebox-Musical in Köln und Aachen – Musical in NRW 04/20

What a Feeling
„Flashdance“ – Vom Kultfilm zum Musical-Hit – Musical in NRW 03/20

Nicht totzukriegender Musical-Klassiker
„My Fair Lady“ am Grenzlandtheater Aachen – Musical in NRW 01/20

Bühne.

Hier erscheint die Aufforderung!