Auf den Namen seiner Kompanie Ballet of Difference wurde Richard Siegal in der Vergangenheit nur zu gerne von Medienvertretern angesprochen. Siegal hat dann oftmals müde abgewinkt. Was bedeutet es einem Künstler, der sein Leben in der Welt des Tanzes zugebracht hat, schon, dass Menschen über eine unterschiedliche Herkunft und ein unterschiedliches Wesen verfügen? In seinem Ensemble, das sein Zuhause im Münchner Muffatwerk und seit gut zwei Jahren auch im Carlswerk des Schauspiels Köln hat, agieren Tänzerinnen und Tänzer aus Portugal, Brasilien, Australien, Uruguay, China oder den USA. Und doch spielt das Anderssein in Siegals choreographischer Arbeit eine grundlegende Rolle. Das demonstriert die neue Produktion „Made Two Walking / Made All Walking“ noch einmal deutlich.
So entwickelte der Amerikaner schon vor vielen Jahren seine „If-then-Methode“, die Bewegung als logische Gleichung im Sinne von Wissenschaft und Technik versteht. Wenn jedoch jeder die gleiche Bewegung macht, fällt umso mehr auf, wie unterschiedlich Menschen sind. Davon erzählt auch die Zusammensetzung des Ensembles, das Modern Dance und Klassischen Tanz gleichermaßen auf hohem Niveau beherrscht. Bei Siegal gibt es nicht die Homogenität einer Ballett-Truppe. Man sieht in jedem Moment, dass mit Jemina Rose Dean, Nena Sorzano oder Mason Manning Persönlichkeiten auf der Bühne stehen, die nichts Uniformes ausstrahlen. Jeder Mensch bewegt sich anders – und Körper übersetzen Rhythmusmuster unterschiedlich. Das hat auch physiologische Gründe, das Herz schlägt nie gleich, und der Atem besitzt unterschiedliche Tiefe. Zugleich sind wir Menschen eingebunden in die Rhythmen von Jahreszeiten und von Tag und Nacht. So rockt letztlich auch das Universum mit.
Zu Richard Siegals künstlerischem Werdegang gehört eine intensive Beziehung zu Musikern und Tanzschafenden aus Westafrika. Mit dem aus Kamerun stammenden Percussionisten Njamy Sitson erhält die Produktion jene Energie, die auch das Publikum in Bewegung versetzen soll. Dabei beginnen definierte Identitäten durchlässig zu werden für das ängstlich-vermiedene Fremde. Ein anspruchsvolles Projekt, mit dem sich Richard Siegal als Leiter des ortsansässigen Ensembles gegen die gewichtige Konkurrenz der Gastspiele behaupten will.
Made Two Walking / Made All Walking | 10.(P), 12., 28., 29.12. 20 Uhr, 11.12. 18 Uhr | Schauspiel Köln, Depot 2 | 0221 22 12 84 00
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Tanz in zehn Dimensionen
Live-Übertragung des Ballet of Difference am Schauspiel Köln – Tanz 12/20
Verletzlich und stark zugleich
Circus Dance Festival in Köln – Tanz in NRW 06/22
Eine Sprache für das Begehren
14. SoloDuo Tanzfestival im Barnes Crossing – Tanz in NRW 05/22
Gesellschaftlicher Drahtseilakt
„tipping points“im Ringlokschuppen Ruhr – Tanz an der Ruhr 04/22
In gläsernen Zellen
„absence#1.2 – AntiKörper“ im Barnes Crossing – Tanz in NRW 04/22
Barnes Crossing lebt
Kölner Choreographinnen-Netzwerk – Tanz in NRW 03/22
Doch kein Don Quijote
Slava Gepner und die TanzFaktur im Jahr 2021 – Tanz in NRW 02/22
Morbider Mozart-Mythos
Choreographen-Duo interpretiert die Totenmesse – Tanz an der Ruhr 01/22
Die Realität des Körpers
Doris Uhlich zeigt Nacktheit als Selbstbestimmung – Tanz in NRW 01/22
Wie werden Frauen gelesen?
Riebesam experimentiert mit der Sprache des Tanzes – Tanz am Rhein 12/21
Ballettwunder trifft Patriarchat
Tanz-Adaption einer umstrittenen Shakespeare-Komödie – Tanz am Rhein 11/21
Denken mit dem Knie
„A Universal Opinion” in der TanzFaktur – Tanz in NRW 11/21
Das Ringen mit dem Bild
Mira 10 zeigt weibliche Ikonen – Tanz am Rhein 10/21
Der Körper weiß mehr
Die Metabolisten zeigen, wie der Körper denkt – Tanz am Rhein 09/21
Jenseits der Vergänglichkeit
„Cascade“ von Meg Stuart auf PACT Zollverein – Tanz an der Ruhr 09/21
Der Zauber der Bewegung im Bild
Tanzarchiv zeigt Liaison zwischen Tanz und Fotografie – Tanz am Rhein 08/21
Dekolonisierung der Körper
Amanda Piñas „Danza y Frontera“ bei der Ruhrtriennale – Tanz an der Ruhr 08/21
Jesus in High Heels
Sommerakademie an der TanzFaktur Köln – Tanz in NRW 07/21
Begegnung mit dem Anderen
Das El Cuco Projekt zeigt das lauernde Tier in uns – Tanz in NRW 12/20
Die vitale Versehrte
„Fractura“ erzählt von den Brüchen im Leben einer Tänzerin – Tanz am Rhein 08/20
Das Sofa als Erkenntnisinstrument
Tanzfestival Into the Fields verwandelt Bonn in ein Bewegungslabor – Tanz am Rhein 04/20
„Als echter Künstler sollte man weinen können“
Aalto-Ballettintendant Ben Van Cauwenbergh über die „Drei Schwestern“ – Tanz an der Ruhr 04/20
Postkoloniale Geister
„Ist das ein Mensch?“ von kainkollektiv im Ringlokschuppen Ruhr – Tanz an der Ruhr 03/20
Die Schule tanzend aus den Angeln heben
Silke Z produziert neue Choreografie in deutschen Schulen – Tanz am Rhein 03/20
Amerikanerin am Rhein
Emily Welther meistert auch schwierige Themen des Tanzes – Tanz am Rhein 02/20