Aura wird zu Vimeo-Link – das Schicksal vieler Bühnenproduktionen der Corona-Zeit. „Circular Vertigo“, eine Produktion des Overhead Projects, premierte im April bei Festival tanz nrw, im Mai wurde sie beim CircusDanceFestival aufgezeichnet – war zuletzt aber nur noch als Stream zu sehen. Jetzt schwingt das Pendel zurück: Am 29. und 30. Oktober wird „Circular Vertigo“ wieder im physischen Raum aufgeführt, den die Autorin dieses Textes noch so schmerzlich vermisst.
Hin und wieder klingen hohen Töne in den Ohren, während Tänzerin Mijin Kim eine Reihe schmaler Spiegelstreifen entlangläuft, die eine vielfach gebrochene Bewegung zurückwerfen, und nie das Bild eines einzelnen Körpers. Nach einigen Minuten der Beschäftigung mit der Spiegelung oder eben Nicht-Spiegelung, wird Kims Partner auf die Bühne gezogen, steif und schwer in der Seilschlinge: Ein kiloschweres Pauschenpferd – ein lederbezogenes Turngerät auf vier Beinen, das bei weniger sportlich Begabten unangenehme Erinnerungen an die Schule hervorruft. Spätestens als das Pferd in die Höhe gezogen wird, um diagonal über der Bühne zu baumeln, verliert sich die Assoziation. Ohne stabilisierenden Boden unter den Füßen wird das Pauschenpferd, kreisförmig pendelnd, in seiner massigen Wucht erfahrbar. Während der folgenden halben Stunde tritt die menschliche Tänzerin in Beziehung zu diesem unbelebten und trotzdem schwingenden Objekt.
Choreograph Tim Behren ist künstlerischer Leiter des 2008 gegründeten Overhead Projects, das zeitgenössischen Zirkus und Tanz vereint, und auch in „Circular Vertigo“ bleibt es nicht beim Tanz: Kim kreist mit und ohne Pferd über die Bühne – die richtiger eigentlich, da eine Zirkusproduktion, Manege heißt –, an das glatte Leder geschmiegt oder kopfüber an den Fesseln hängend.
Dabei sind ihre Bewegungen genauso reduziert wie die Ausstattung. Spiegel, Leder, eine weite, weiße Fläche, das erinnert an modernen Minimalismus, und auch die tänzerischen und akrobatischen Bewegungen entwickeln sich langsam und kontrolliert – zu langsam oft für die Zuschauerin, die sich nicht im Raum, sondern vor ihrem Laptop befindet. Da gibt es Hufscharren und Rennen auf allen Vieren, vor allem aber Positionen, die zu beinahe unbewegten Posen werden. So wirken die Formen eher als Symbole denn durch ihre direkte physische Sinnlichkeit. Verstärkt wird diese Bedeutungsschwere durch eine Klavierbegleitung, deren Dramatik teilweise nicht ganz zu dem zurückgenommenen Geschehen passen will.
Recherchegrundlage der Produktion ist die Zirkusreitkunst, eine der im 18. Jahrhundert seltenen Möglichkeiten für Frauen, zum Star zu werden. Dieser gesellschaftliche Bezug reichert das Bühnengeschehen an, liefert, wenn man denn möchte, einen Schlüssel zur Interpretation der Zeichen. Ansonsten gibt es schlicht ästhetische Geometrie und Klarheit zu genießen, deren Wirkung sich mit Sicherheit in der runden Manege völlig anders entfalten wird als auf dem eckigen Bildschirm, der lang genug einziger Weltzugang gewesen ist.
Circular Vertigo | 29., 30.10. je 20 Uhr | moment – Theater- & Zirkuspädagogisches Zentrum Köln | www.moment-koeln.de
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