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C. Cay Wesnigk, Thorolf Lipp (beide AG DOK), Silke Räbiger (Frauenfilmfestival) und Marcus Seibert
Foto: Mario Müller

Filmisches Erbe gesucht

13. Mai 2017

Symposium über die Sicherung des NRW-Filmerbes – Kino 05/17

Das Thema Archivierung klingt zunächst trocken, man denkt an fingerdicke Staubschichten auf alten Exponaten. Etwas zu Unrecht, wie das Symposium „Das NRW-Filmerbe. Archivierung, Digitalisierung und Veröffentlichung“ zeigte. Auf Einladung der Dokumentarfilminitiative, der AG DOK und dem Filmbüro NW trafen am 26./27. April ganz unterschiedliche Akteure aufeinander, die offenbar einen großen Bedarf am fachlichen Austausch hatten.

Das Problem hat gleich mehrere Facetten: Der in Archiven weit verbreitete Acetatfilm zersetzt sich bei schlechter Lagerung und wird zu Essigsäure. Gleichzeitig gibt es durch die Umstellung der Kinos kaum noch Abspielstätten. Eine Digitalisierung ist also nötig, um die Sichtbarkeit der Werke zu erhalten. Obwohl es aber eine Welle von Archivauflösungen gegeben hat, sind andere Länder wie Frankreich viel weiter mit der Rettung alter Kopien. Zusammen mit dem „Digitalisierungsstau“ ist eine wirklich beängstigende Situation entstanden für alle, die sich Gedanken um den Erhalt des filmischen Erbes machen.

Wenig Sorgen machen muss man sich um geförderte Kinofilme der letzten Jahre. Um deren Archivierung kümmert sich zentral das Bundesarchiv, Abteilung Filmarchiv, das von allen Förderprojekten eine Kopie bekommt, wie Archivdirektorin Babette Heusterberg erläutert. Der Schwerpunkt des Symposiums liegt dagegen eher bei Dokumentar- und Experimentalfilmen. Die Veranstalter möchten „blinde Flecken der Filmüberlieferung vermeiden“, wie ein Vortrag überschrieben ist. Auch Filme von Frauen wurden dabei hervorgehoben.

Gerade für Dokumentarfilmer wäre die Rettung alter Aufnahmen wichtig, macht Cay Wesnigk von der AG DOK deutlich. Denn hier ist nicht nur das Endprodukt, sondern genauso sehr das restliche Filmmaterial interessant – und das haben viele noch im Keller liegen. Alte, historische Aufnahmen und Interviews aber könnten in anderem Kontext nochmals verwendet werden. Ganz abgesehen vom Wert der Filmaufnahmen für Historiker. Die Idee eines mobilen Archivars soll hier Abhilfe schaffen: In einem Bus könnte ein kleines Team aus Archivaren und Spezialisten zu den Kleinarchiven fahren. Wer den Dienst in Anspruch nehmen will, könnte sofort mit einer digitalen Kopie des Materials belohnt werden, erklärt Wesnigk. Das soll zunächst überhaupt die Sichtung und Erfassung von vorhandenem Material voranbringen und den Filmemachern professionelle Hilfestellung bei der Bewertung der Materialqualität bieten.


Austausch über NRW-Filmgeschichte: Moderator Marcus Seibert mit Sven von Reden
Foto: Mario Müller

Stellt sich die Frage, wie man nun auswählt, was (zuerst) gerettet werden soll. Auswahl heißt immer auch Kanonbildung, wie Filmhistoriker Jeanpaul Goergen klarmacht. Und weil die Filmrettung bald nicht mehr nur vom Bund, sondern auch von den Ländern bezahlt werden soll, ging es im Symposium auch darum, welche Filme denn nun von Relevanz sind für das Bundesland. „Eine NRW-Filmgeschichte gibt es nicht“, stellte aber Sven von Reden fest, Filmjournalist (s. Kritikerspiegel) und Buchautor. So divers wie das Land ist auch seine Filmlandschaft. Hier gab es die erste Filmvorführung Deutschlands (in Köln), hier brachten Kunsthochschulen Experimentalfilmer hervor, das Ruhrgebiet lockte ab den 1970ern Dokumentarfilmer an, die auch mithilfe des WDR fleißig produzierten. Doch was als relevant eingestuft wird, ändert sich auch, so von Reden: „Wir wissen nicht, was die Menschen in 100 Jahren interessiert, nicht mal in 30. Es kann gut sein, dass dann ein ‚bewegter Mann‘ vergessen ist, aber ein ‚Johnny Flash‘ als wichtiger Vertreter der deutschen Filmgeschichte gilt.“ Der Film von Experimentalfilmer Werner Nekes mit Helge Schneider, unter Mitarbeit von Christoph Schlingensief entstanden, gilt oft als eine Art Ruhrgebiets-Film und Vorbild der Helge-Schneider-Filme.

Vielleicht ist der Sprung von einer zentralen, in Berlin entschiedenen Filmarchivierung zur dezentralen aber gar nicht so groß. Wie Jeanpaul Goergen in einer Übersicht zeigte, waren schon immer mehrere Akteure an der Archivierung beteiligt. Kinematheken, Festivals und das Bundesarchiv-Filmarchiv: Es scheint eine Unzahl von Sammlungen, Archiven und Projekten zu geben, die mal Filme archiviert haben oder das noch immer tun. Ein Problem dabei wird immer wieder deutlich: Projektbezogene Finanzierungen sorgen meist dafür, dass nach wenigen Jahren Schluss ist mit einem Projekt. Teilweise können die Ergebnisse dann heute nicht mal mehr eingesehen werden, wenn etwa die Webseiten oder die Datenbanken nicht mehr funktionieren.

Überhaupt scheint es an einer einheitlichen Bestandsaufnahme aller Filme noch immer zu hapern. Etwas, das vor allem Filmemacher Cay Wesnigk von der AG DOK ärgert, der diese Fehler nicht wiederholen will. Er plädiert für einzelne Datenbanken, die aber einheitlich befüllt werden und gemeinsam durchsucht werden können, etwa auf der Filmportal-Webseite, einer zentralen Anlaufstelle für Informationen über den deutschen Film. Wo eine Filmrolle dann liegt, sei gar nicht so entscheidend, solange der Ort in einer Datenbank auffindbar sei.

Eine Befürchtung konnte man in den vergangenen Wochen schon im deutschen Feuilleton nachlesen: Dass die Politik jetzt auf die Idee kommt, an Stelle der Archivierung des Ursprungsmaterials werde nun die Digitalisierung als billige Alternative gefördert. Der Konsens im Filmforum war dagegen schnell offensichtlich: Das Digitalisieren ist eine wichtige Aufgabe, die für die Sichtbarkeit älterer Filme unumgänglich ist. Das Filmmaterial zu erhalten, wenn nötig zu restaurieren ist dagegen eine eigene Aufgabe. Die schnelllebige Entwicklung der digitalen Technologien widerspricht ja jeder langjährigen Erhaltung. Wer vor 15 Jahren sein Filmmaterial digitalisierte, wird damit schon heute niemanden mehr überzeugen können, der HD- oder bald sogar 4K-Qualität gewohnt ist. Wohl dem, der da sein Ausgangsmaterial behalten hat und neu digitalisieren kann.

Als positives Ergebnis des Symposiums lässt sich festhalten, dass ein Übergang der Archivierungsaufgaben von Bundes- in Länderhand durchaus auch Vorteile bieten kann. Gerade in einem Land wie NRW, wo viele Kleinproduzenten für den größten Anteil der Filmproduktion zuständig waren, wäre man so näher am Geschehen. Dennoch bleibt die Aufgabe eine ganz schwierige. Ein sinnvoller Einsatz des Geldes – sollte es überhaupt bewilligt werden – ist eine Voraussetzung für die Rettung möglichst vieler Filme. In einer Umfrage haben die Veranstalter einige Mitglieder angeschrieben und kamen alleine auf 150 Filme mit Prüfungsbedarf und bereits 50 Filme mit dem akuten Bedarf der Rettung. Das waren allerdings nur die Antworten einer Auswahl der Mitglieder, und Spielfilme sind da noch gar nicht erfasst.

Als nächsten Schritt wollen die Veranstalter jetzt konkrete Forderungen an die Politik stellen. Wie sich gezeigt hat, gibt es unter den Spezialisten eine relativ große Einigkeit, und auch gute Ideen liegen auf dem Tisch. Wie es weiter geht, hat nun die Politik zu entscheiden.

Mario Müller

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