Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
12 13 14 15 16 17 18
19 20 21 22 23 24 25

12.604 Beiträge zu
3.827 Filmen im Forum

„You Want it Darker“ in der Tanzfaktur
Foto: Dora Cohnen

Spiel mit der Angst

19. März 2018

Premiere von „You Want it Darker“ an der Tanzfaktur – Tanz 03/18

Am vergangenen Freitag stellten Choreografin und Tänzerin Susanne Grau (Köln) und Autorin und Performerin Adriana Gheorghe (Bukarest) Vampire dar, die hungrig sind, aber schwach. Mit leisen Stimmen und vorsichtig-zwanghaften und fast niemals ausschweifenden Bewegungen treten sie in einen einsamen Dialog, aus dem nicht klar wird, wann die Performer miteinander oder nur mit sich selbst reden. Die Zuschauer beobachten diese schizophrene Fiktion von einer gekrümmten Stuhllinie, die quer über den Bühnenraum ragt, wie achtlos formatiert, doch den Ort des Geschehens eingrenzend und dadurch scheinbar definiert. Schon während die Zuschauer ihre Jacken ablegen, beginnt Susanne Grau ruckartig repetitive Bewegungen darzustellen. Der Eintritt von Gheorghe verbleibt unbemerkt. Leise lachend schleicht sie sich von hinten an und stellt sich zwischen die Zuschauer. Dann wird sie lauter und ruft aus: „I feel desperate and confused!“

Die Wortwechsel und Interaktionen entfalten sich. Sind die Darstellerinnen doch etwa Menschen, nur etwas lebensmüde? Manchmal scheinen die Charaktere gar nicht bei der Sache zu sein, sondern ihren persönlichen Gedanken nachzugehen. Fallen aus ihren Rollen hinaus und herein, bleiben jedoch immer gefangen in ihren Routinen. Die der Tradition des „panic theatre“ nach Jodorowsky folgende Performance spiegelt dunkle Abgründe des Scheiterns in hilfloser Erstarrung. Man läuft immer wieder gegen sein Selbstbildnis, das einem immer fremder erscheint, doch das Glas zerspringt nie. Ein Prozess von bodenloser Verzweiflung wird im grauen Bereich zwischen Spiel und Nicht-Spiel deprimierend und minimalistisch durchleuchtet.

„The light will not make it better.“ Die bis dahin sporadisch beleuchtete Bühnenfläche wird durch einen weiteren Strahler erhellt. Irgendwann wird es ausgeschaltet, dann ein neuer Versuch: an! – wiederholtes Scheitern bis die Blumen auf die Bühne getragen werden. Jetzt ist das Stück zu Ende. Einfach so, ohne Höhepunkt, ohne Wandel, ohne Pathos.

„Unsere Inspirationsquelle ist ein Vampirfilm namens ‚Interview mit einem Vampir‘, in dem Vampire so tun, als seien sie menschliche Schauspieler, um auf der Bühne als Vampire getarnt jemanden umzubringen“, erklärt Susanne Grau nach dem Stück. „Uns hat interessiert, wie man Echtes und Fiktives sowie verschiedene Arten von Schauspielmethoden mischen kann. Es geht aber gar nicht darum, Vampire darzustellen, sondern mehrere Charaktere zu kreieren.“

Um das zu bewerkstelligen, haben sie kuriose Kostüme gewählt: Grau in einem lila „Milka“-T-Shirt und knallroten Schuhen und Gheorghe mit einem schwarzen T-Shirt, das mit dem Aufdruck „Unexpected Success“ versehen ist sowie einer seltsamen Blümchenstrumpfhose, die unter einer unförmigen Jeans in halboffene, blaue Pumps enden. Beide sind außerdem mit auffälligem, buntem Schmuck behängt.
Charakterlos und doch originell, ästhetisch interessant, doch mehr wie tief in der Kostümkiste gekramt.

So fühlte sich auch das Stück manchmal an: Wie eine Aufführung eines jungen Theaterensembles, deren offensichtlich komplexen Gedanken nach vielem Üben so stark verkopft werden, was einem, bei seinem bloßen Respekt vor der Kunst und den Anstrengungen, unangenehm wird. „‚You Want It Darker‘ macht sich das Zweifeln, das mit dem Sehen unsichtbarer Dinge verbunden ist, zunutze und begibt sich in Bereiche, die die intuitive Wahrnehmung auf unerhörte Weise herausfordern“, steht im Programmheft. Und tatsächlich wird einiges nicht sichtbar und dreht sich um das „Nicht“ dazwischen. Das ist schwierig, vor allem da zuweilen der Sound aus dem Nebenraum mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht als die zwei Performerinnen. So wie man auch vermuten könnte, das Gheorghe und Grau in dem Stück Vampire spielen, die als Sterbliche aufwachen und das Leben verlernt haben, scheinen sie auch (absichtlich) das Tanzen und das Schauspiel verlernt zu haben – was genauso interessant wie zutiefst verstörend sein kann. Die Frage stellt sich, ob man sich dem aussetzen möchte.

Während man Susanne Grau aus dem Kölner MichaelDouglas Kollektiv kennt, arbeitet Adriana Gheorghe hauptsächlich mit Sprache (Ausstellungen im ZKM Karlsruhe, Romanian Contemporary Art Museum). „Wir haben uns in der Mitte getroffen, ohne uns gleichzustellen. Es war ein schöner Austausch“, meint Grau. Das durch das Kulturamt der Stadt Köln und des Goethe-Institut geförderte Projekt geht nach seinen Vorstellungen in der Tanzfaktur auf Tournee in Rumänien und weiteren Schauplätzen.

„You Want It Darker“ | Ch: Susanne Grau, Adriana Gheorghe | TanzFaktur | keine weiteren Termine

Dora Cohnen

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Final Destination: Bloodlines

Lesen Sie dazu auch:

Lässiger Spott
„Ophelia‘s Got Talent“ am Schauspiel Köln – Tanz in NRW 05/25

TikTok und Posthumanismus
„The Death at the Code!“ an der Tanzfaktur

Der Übermann
„Boys don‘t cry“ in der TanzFaktur – Theater am Rhein 04/25

Plötzlich und heftig
Das Land NRW kappt Säulen der Tanzförderung – Tanz in NRW 04/25

Tanz der Generationen
„Kaleidoskop des Lebens“ von Choreografin Suheyla Ferwer – Tanz in NRW 03/25

Überraschungen vorprogrammiert
Das Urbäng Festival 2025 in Köln – Tanz in NRW 02/25

Tanzen, auch mit Prothese
Inklusive Tanzausbildung von Gerda König und Gitta Roser – Tanz in NRW 01/25

Die Erfolgsgarantin
Hanna Koller kuratiert die Tanzgastspiele für Oper und Schauspiel – Tanz in NRW 12/24

Im Kreisrund sind alle gleich
4. Ausgabe des Festivals Zeit für Zirkus – Tanz in NRW 11/24

Die ultimative Freiheit: Tod
„Save the Planet – Kill Yourself“ in der Außenspielstätte der TanzFaktur – Theater am Rhein 10/24

War das ein Abschied?
Sônia Motas „Kein Ende“ in den Kölner Ehrenfeldstudios – Tanz in NRW 10/24

Die KI spricht mit
Franz Kafkas „Der Bau“ in der Alten Wursterei in Köln – Prolog 10/24

Bühne.

HINWEIS