Die Distanz der Corona-Jahre hat in der Gesellschaft ihre Spuren hinterlassen: Berührungen sind nicht mehr selbstverständlich. Mit diesem Phänomen hat sich das Kölner Freiraum Ensemble um den Tänzer Arthur Schopa auseinandergesetzt und zusammen mit Choreographin Irina Pauls eine Antwort formuliert, die es unter dem Titel „Sinneswüsten“ am 25. August in der Stephanus-Kirche erstmals präsentieren wird. Die Produktion baut auf der arte-Dokumentation „Haut an Haut“ auf, die im Februar 2021 ausgestrahlt wurde und in der das Phänomen der Berührung aus der Perspektive der Kunstgeschichte und verschiedener Wissenschaften beleuchtet wird. Schon damals war das Freiraum Ensemble in Kooperation mit Irina Pauls involviert und hat seinen Ansatz inzwischen weiter ausgearbeitet. Die Tänzerinnen und Tänzer versuchen nun, die unterschiedlichen Qualitäten dieses zutiefst menschlichen Aktes auszuloten und in Szene zu setzen.
Berührungen sind überlebensnotwendig. Sie sind der erste positive Sinneseindruck, den ein Mensch nach der Geburt wahrnimmt, und mit etwas Glück am Ende des Lebens auch der letzte. „Ein Mensch, der nicht berührt wird, verkümmert, sozial und körperlich“, erklärt das Ensemble. „Eine Berührung kann Geborgenheit geben und Wärme, sie kann Trost spenden oder Schutz, sie kann Brücken bauen und Türen öffnen, sie kann elektrisieren und erregen.“ Doch sie kann auch schmerzen, ekeln, verletzen, unterdrücken und verängstigen. Sie ist Ausdruck von Menschlichkeit oder ein Zeichen ihres Fehlens und ein entscheidender Gradmesser für die Normen und Werte einer Gesellschaft. „Wir stellen die sich direkt zeigende leibliche Begegnung in einen kulturgeschichtlichen Kontext und fächern auf diese Weise auf, wie sich Betrachtungsweisen verändern“, so das Ensemble weiter. Dabei verknüpft es zeitgenössischen Tanz mit den Möglichkeiten des Dokumentarfilms.
Das Freiraum Ensemble produziert seit 2013 Tanzperformances für außergewöhnliche Orte. Unter anderem haben sie im Kölner Freilichtatelier „Odonien“, der alten Samtweberei in Krefeld und der Fabrik Heeder inszeniert. Jetzt arbeitet das Ensemble erstmals mit Choreographin Irina Pauls zusammen, die einem ähnlichen Ansatz folgt und die schon 2012 auf Malta Arthur Schopa kennenlernte. Die Tanzperformance wird in Köln uraufgeführt; im Dezember ist sie dann in Pauls‘ Heimatstadt Leipzig zu sehen.
Sinneswüsten | 25.-27.8. je 19.30 Uhr, 28.8. 16 u.19 Uhr | Stephanuskirche | www.freiraumensemble.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Das Unsichtbare sichtbar machen
Choreographin Yoshie Shibahara ahnt das Ende nahen – Tanz in NRW 04/24
Queerer Gabelstapler
„Jungmann // Jungklaus“ in der Tanzfaktur
Tennismatch der Kühe
„Mata Dora“ in Köln und Bonn – Tanz in NRW 03/24
Kommt die Zeit der Uniformen?
Reut Shemesh zeigt politisch relevante Choreographien – Tanz in NRW 02/24
Emotionale Abivalenz
„Sohn meines Vaters“ in Köln – Theater am Rhein 01/24
Am Ende ist es Kunst
Mijin Kim bereichert Kölns Tanzszene – Tanz in NRW 01/24
Tanz auf Augenhöhe
„Chora“ in der Tanzfaktur – Tanz in NRW 12/23
Eine Sprache für Objekte
Bundesweites Festival Zeit für Zirkus 2023 – Tanz in NRW 11/23
Die Sprache der Bewegung
Die Comedia lockt das junge Publikum zum Tanz – Tanz in NRW 10/23
Überleben im männlichen Territorium
Festival Urbäng! 2023 im Orangerie Theater – Prolog 09/23
Kinshasa und Köln
„absence#4“ im Barnes Crossing – Tanz in NRW 09/23
Den Nerv der Zeit erkannt
Screen Dance Academy #3 in Wuppertal – Festival 08/23
Mut zur Neugier
„Temptation“ in den Ehrenfeldstudios – Theater am Rhein 04/24
Wege aus der Endzeitschleife
„Loop“ von Spiegelberg in der Orangerie – Theater am Rhein 04/24
Wahllos durch die Zeitebenen
„Schlachthof Fünf“ am Theater im Ballsaal – Auftritt 04/24
„Ich mache keine Witze über die Ampel“
Kabarettist Jürgen Becker über sein Programm „Deine Disco – Geschichte in Scheiben“ – Interview 04/24
Das Theater der Zukunft
„Loop“ am Orangerie Theater – Prolog 04/24
„Wir wissen nicht viel über das Universum“
Ronny Miersch inszeniert „Der Mensch erscheint im Holozän“ am TdK – Premiere 04/24
Flucht auf die Titanic
„Muttertier“ am Schauspiel Köln – Prolog 03/24
Für die Verständigung
Stück für Gehörlose am CT – Theater am Rhein 03/24
Im Höchsttempo
„Nora oder Ein Puppenhaus“ in Bonn – Theater am Rhein 03/24
Lesarten des Körpers
„Blueprint“ in der Außenspielstätte der Tanzfaktur – Prolog 03/24
Musik als Familienkitt
„Haus/Doma/Familie“ am OT – Theater am Rhein 03/24
„Es wird ein Kampf um Vormachtstellung propagiert“
Rafael Sanchez inszeniert „Die letzten Männer des Westens“ am Schauspiel Köln – Premiere 03/24
Parolen in Druckerschwärze
„Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ am Schauspiel Köln – Auftritt 03/24