Der Raum ist voll bei der Diskussionsrunde „Commonismus oder Kommunismus – Sozialismus von der Wissenschaft zur Utopie?“ im Rahmen der Karl Marx-Tagung in Köln. Einer Stadt, in der der Philosoph und Ökonom mit dem unverkennbaren Vollbart von 1842 bis 1843 lebte. Zugegeben keine lange Zeit, aber dafür eine intensive, arbeitete Marx doch hier u.a. als politischer Journalist für die liberale Rheinische Zeitungund brachte er später die Neue Rheinische Zeitung heraus. Auch eine, von der behauptet wird, dass der Vertreter der Arbeiterbewegung und Kritiker der bürgerlichen Gesellschaft sowie der Kirche von den Menschen hier politisiert worden sei. Kein Wunder, dass Marx im katholischen Köln nicht nur Freunde hatte.
Das Besucheralter der von der Rosa-Luxemburg-Stiftung NRW initiierten Veranstaltung ist wild gemischt. Unter den Anwesenden sind augenscheinlich auch einige Alt-68er, in deren Augen noch die Sehnsucht nach einer noch immer nicht erfolgten kommunistischen Revolution brennt. Der Umgang untereinander ist gemäß politischem Programm sozial. Alles ist umsonst. Alles wird geteilt. Dennoch macht Moderatorin und Politologin Sabine Nuss, Geschäftsführerin des Karl Dietz-Verlages der Rosa Luxemburg-Stiftung und eine Grande Dame der Gemeingüterforschung, ironisch darauf aufmerksam, dass, während zu dieser Tagung in memoriam Karl Marx gerade mal um die 100 Gäste gekommen seien, am gleichen Tag lauter stählerne Muskelprotze an ihr vorbeigelaufen seien. Später stellte sie fest, dass dies Besucher der gleichzeitig stattfindenden Fitnessmesse gewesen seien, deren Anzahl weit höher war. Sogleich eröffnet sie damit eine gesellschaftliche Diskussion. „Was sagt das aus, wenn Menschen heutzutage eher mit gequältem Gesichtsausdruck zur Fitness stürmen? Denn ich glaube nicht, dass sie alle glücklich sind. Wenn wir lieber unserem Körper und Muskelaufbau Aufmerksamkeit schenken als einer Veranstaltung, in der es um soziale Gerechtigkeit geht?“ fragt Historikerin und Volkswirtin Friederike Habermann, einer der vier Podiumsgäste. „Müssen wir nicht auch unsere eigene Lebenweise kritisch beäugen? Wieviel Energie und Zeit wenden wir Dingen wie Aussehen, Streben nach Perfektion, auch in unserem Beruf, zu? Wie sehr verbiegen wir uns tagtäglich? Es ist nicht nur der Staat schuld oder das System oder Andere, wir selber sind Teil des kapitalistischen Systems.“
Die Autorin und freie Wissenschaftlerin plädiert deshalb für eine alternative Wirtschaft jenseits des Mainstream-Kapitalismus, in welcher Eigentum gegen Besitz ausgetauscht werden und der ursprünglich marktwirtschaftliche Tausch durch soziales Beitragen zur Gesellschaft ersetzt werden soll. Habermann vertritt dabei die Auffassung, dass der Kampf um Gleichberechtigung immer auch mit dem kritischen Hinterleuchten der eigenen Vorteile einhergehen muss. Ferner ist sie Befürworterin sogenannter „Commons“. Doch was sind Commons eigentlich genau?, wird später im Dialog mit dem Publikum berechtigter Weise gefragt. Der Begriff „Commons“ stammt vom Lateinischen „communis“ab und heißt soviel wie „gemeinsam“. Dabei handelt es sich um selbstorganisierte Ressourcen, die gemeinsam bedürfnisorientiert produziert und genutzt werden. Da sie also weder profitorientiert sind noch vom Staat gelenkt werden, werden sie häufig als jenseits von Markt und Staat bezeichnet. Eine Art Sharing-Ökonomie also. Jene Commons sind Habermanns Traum, als konkrete Umsetzung der Marxschen Theorie. „Bei Marx fehlen solche Commons komplett,“ kritisiert die Wissenschaftlerin den einstigen revolutionären Visionär. Damit kratzt sie an einer grundsätzlichen Frage: Denn auch wenn Marx als Urvater des anti-kapitalistischen Gedankens und der Enteignung des Eigentums auf wissenschaftlicher Ebene durchaus angesehen war, galt er doch als sachlicher Analyst, fehlt vielen in seinen Werken jedoch der praktische Ansatz.
Wie können also die Marxschen Theorien 170 Jahre später tatsächlich umgesetzt werden? Politologe Michael Heinrich findet: „Man muss nicht unbedingt Marx lesen, um Kapitalismus scheiße zu finden. Dazu braucht man keine Wissenschaft. Da reicht die Realität.“ Das Publikum lacht. „Eine Gesellschaft mit freier Marktwirtschaft ist immer schlecht, weil sie stets Vergleich und Hass schürt. Das liegt klar auf der Hand.“ Der Autor, der eine Biographie über Marx verfasst, plädiert deshalb für eine Enteignung von Eigentum, aber nur auf dezentralem Wege. Heinrich spricht sich gegen einen von ihm so bezeichneten „Weltanschauungsmarxismus“ aus, weil jener ein viel zu einfach gestrickter Abklatsch sei. Die Enteignung müsse jedoch unbedingt dezentral geschehen: „Wenn stattdessen alles in die Hände des Staates geht und zentral gelenkt wird, ist es auch wieder unratsam, weil es mit Macht und der damit zusammenhängenden Gefahr eines Machtmissbrauchs verbunden ist.“ Das Scheitern einiger ehemals kommunistischer Länder, die von einem zentralen Regierungsapparat geleitet wurden, und die daraus resultierenden Negativfolgen, machen dies deutlich. Was soll also an die Stelle des Staates treten? Commons?
Und, welche politische Parteien würden sich überhaupt eignen, um Marxsche Gedanken umzusetzen? Jan Dieren von den Jusos in NRW und jüngstes Mitglied auf der Bühne findet, dass es derzeit aus seiner Sicht keine Partei gebe, die die Voraussetzung habe, tatsächlich soziale Gerechtigkeit zu erreichen; auch seine eigene momentan eher nicht, wie er lachend zugibt. Und die Linke? Raul Zelik, Schriftsteller, Übersetzer sowie Mitglied im Vorstand der Linken, ist sich da auch nicht ganz sicher. Der Politikwissenschaftler, der zu den Themen Postkapitalismus und globale Solidarität forscht, plädiert – ähnlich wie Habermann – für praktische Umsetzungen in Form von gemeinsamen Commons statt nur grauer Theorie. In einem sind sich alle Teilnehmer einig: Dass ein kapitalistischer Wettbewerbsmarkt, wie wir ihn erleben, stets ungerecht ist, weil dabei die Reichen auf Kosten der Armen immer reicher werden, während die Anderen mehr und mehr verarmen. Über Alternativen und praktische Umsetzungen der Marxschen Theorie eines Sozialismus/Kommunismus gehen die Meinungen teilweise auseinander. Die Diskussion zeigt aber auch, dass das Thema Marx komplex ist, und sich schlecht in eine zweistündige Podiumssitzung pressen lässt.
Im anschließenden regen Publikumsgespräch wird klar, dass es bereits selbstverwaltete Ressourcen in Form von Commons – auch in der Domstadt. Die Grundidee der 2011 gegründeten Initiative NeuLands etwa, Wissen, Gemüse und Stadtentwicklung zu teilen, ist eine Art kultureller Common. Erste praktische Ansätze einer bedürfnis- statt rein profitorientierten Rohstoff- und Arbeitsmittelteilung sind also da. Karl Marx damals und heute – vielleicht sollte jeder Teilnehmer nach dieser Runde noch einmal in sich gehen und sich selbst fragen: Muskelwettbewerb versus Marx – wieviel Marx steckt in uns, wieviel in Köln? Heißt heute nur eine Straße in Köln in verblasster Erinnerung Karl-Marx-Allee, ist eine einzige Steinfigur von insgesamt 124 auf dem Rathausdach dem Urgestein der sozialen Theorie gewidmet? Klebt vielleicht noch ein Aufkleber von seiner Idee simplifiziert und romantisiert auf unserem ansonsten eher konsumorientierten Kühlschrank? Oder geht noch mehr in punkto Teilen statt Profit?
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