Sie sind nicht alt, tragen Jackett, Goretex- oder Lederjacke, dazu Jeans und eine Basecap und kommen aus allen Gesellschaftsschichten. Acht junge Männer, die so gar nicht nach Schmiss und Bierexzess aussehen, stehen vor dem eisernen Vorhang in den Kammerspielen des Bonner Theaters und erzählen von ihrer Mitgliedschaft in schlagenden Verbindungen. Wohnungssuche, irgendwie reingerutscht, Männerclub, Familiarität, die Freunde – die Gründe, die sie dafür anführen, wirken alle wie Entschuldigungen. Macht nichts, denn dann schwebt Germania (Sophie Basse) mit Schild, Schwert und Springerstiefel herab und trainiert den Burschenschaftsnachwuchs, bis der Corpsgeist nur so sprüht. Die bis unter die Decke mit Fischgrät-Parkett ausgeschlagene Bühne von Cary Gayler wird zum Trainingscamp, wo nicht nur in Reihe angetreten, im Gleichschritt marschiert, sondern auch auf dem Paukboden das Fechten in vollem Ornat als Psychoschliff und emotionales Freeclimbing geprobt wird.
Unter seiner neuen Leitung frönt das Bonner Theater gleich in der ersten Spielzeit einer kritischen „Deutschtümelei“ mit Autoren wie Hebbel, Fassbinder, Böll, Fritz Lang, mit Themen wie 1. Weltkrieg, Revolution, Politikerfrauen in der Bonner Republik – da durften die am Rhein zahlreich vertretenen Burschenschaften natürlich nicht fehlen. Spezialist für derartige Operationen am offenen gesellschaftspolitischen Herzen ist Regisseur Volker Lösch. Sein Abend „Waffenschweine“ beruht auf dem Dokumentarstück „Bier, Blut und Bundesbrüder“ von Gesine Schmidt, das Stimmen von Burschenschaftlern mit Liedern und historischen Exkursen vermengt. Lösch und die Dramaturgin Nicola Bramkamp haben das Material auf die Bonner Verhältnisse feinjustiert, inklusive Verweise auf die fast 50 Burschenschaften vor Ort oder prominente Mitglieder. Doch zunächst einmal bietet der Abend eine ziemlich glatte, eingängige Mischung aus Infotainment, Liederabend und lustvollem Sarkasmus. Da werden zur Ertüchtigung Bierkästen mit markigen Sprüchen gestemmt; eine Bierkrug-Pyramide fährt aus der Unterbühne hoch und man lernt die alkoholisierte „radical self-expression“ der Burschenschaften kennen: Vom „Brüllsaufen“ über den „Bierverschiss“ bis zur „Teebeutel-Aktion“, bei der man sich mit nacktem Hintern aufs Gesicht des zu Bestrafenden setzt. Es hagelt Anekdoten, wie man irgendwo irgendwie die Sau rausgelassen hat. Man badet nackt in Bierlachen und grölt Songs von Gadeamus igitur bis zum Claustaler Mitternachtsschrei. Löschs Kritik ist so plakativ wie vorhersehbar. Ketzerisch gefragt: Wenn, wie der Soziologe Zygmunt Baumann meint, es nur noch kurzlebige „Anlass-Gemeinschaften“ gibt, die diskursiv hergestellt werden müssen, sind die langlebigen Verbindungen der Burschenschaften dann nicht ein utopisches Modell? Und was ist der Paukboden-Kick eigentlich gegen den Trend zu Extremsportarten?
Man kann Volker Lösch nicht nachsagen, dass er die demokratische Tradition der Burschenschaften, ihr Verbot unter den Nazis unterschlägt. Oder die Konkurrenz mit den elitären Corpsstudenten, der brav an der Rampe als Streit wie auf dem Schulhof mit Germania als Schiedsrichterin inszeniert wird. Ganz zu schweigen von der allmählichen rechtsradikalen Unterwanderung der Burschenschaften in den letzten Jahren. Da marschiert dann die Truppe (Samuel Braun, Daniel Breitfelder, Glenn Goltz, Jonas Minthe, Benjamin Berger, Benjamin Grüter, Robert Höller, Hajo Tuschy) in vollem Wichs samt Fahne auf und sondert ihre rechtsradikalen Mentalblasen ab, bis einer empört schreiend aussteigt. Doch der Abend macht es sich letztlich zu einfach, wenn er nur die reaktionäre Schauseite der Burschenschaften vorzeigt. Um deren gesellschaftspolitischen Einfluss zu demonstrieren, ist es zu wenig, die acht Schauspieler in Anzügen aufzureihen und von Netzwerk und Karriere faseln zu lassen. Das gesellschaftliche Spektrum reicht immerhin von Bild-Chef Kai Diekmann über Politiker wie Markus Söder oder Rezzo Schlauch bis zum Allianz-Vorstand; da geht es um mehr als nur ein bierseliges „Schluck! Schluck! Schluck!“ oder rechtsnationale Sprüche.
„Waffenschweine” | R: Volker Lösch | 1. (18 Uhr), 21.6., 2., 5.7. 19.30 Uhr | Kammerspiele / Theater Bonn | 0228 77 80 08
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